Programm

Herzlich willkommen

Unsere Konzertreihe vereint international renommierte Orchester und Dirigent:innen, die Ihnen sowohl traditionsreiche Meisterwerke als auch wegweisende zeitgenössische Kompositionen präsentieren werden. Von mitreißenden Ouvertüren bis zu kraftvollen Symphonien erwartet Sie in jedem Konzert ein unvergessliches musikalisches Erlebnis.

Das Antwerp Symphony Orchestra beeindruckt mit seiner dynamischen Vielfalt und Präzision und zeichnet sich zudem durch die Zusammenarbeit mit brillianten Solist:innen aus. Das Israel Chamber Orchestra begeistert als eines der variationsreichsten Ensembles durch seine intime und einfühlsame Interpretation und der bemerkenswerten Bandbreite an musikalischen Stilen und Formen. Die Wiener Symphoniker setzen mit ihrer reichen Tradition und ihrem unverwechselbaren Klang weltweit Maßstäbe. Das Stuttgarter Kammerorchester wird nicht nur für seine klaren und innovativen Interpretationen hoch angesehen, sondern auch für seine Offenheit und Vielfältigkeit in der Programmgestaltung. Das Prager Royal Philharmonic Orchestra fasziniert mit seiner tiefgehenden musikalischen Hingabe und interpretiert die Werke tschechischer Komponisten mit einer Leidenschaft, die in ihrer DNA quasi verankert ist, und das City of Birmingham Symphony Orchestra ist für seine kreativen Programme und exzellente musikalische Leitung bekannt – als ein großer Klangkörper von Kraft und Eleganz genießt es internationales Ansehen. In der Saison 2024/2025 rücken wir insbesondere eine aufstrebende Generation herausragender Dirigentinnen in den Vordergrund. Shiyeon Sung und Nil Venditti, beide für ihre präzisen und einfühlsamen Interpretationen geschätzt, sind feste Größen in der internationalen Musikszene.

Die Dirigenten Christoph Poppen, Patrick Hahn, Heiko Mathias Förster und Kazuki Yamada sind eng mit ihren Orchestern verbunden und versprechen durch ihre individuelle Sprache, ihre nuancierte Präzision und dynamische Führung einzigartige musikalische Erlebnisse. Erleben Sie virtuose Solist:innen wie die Violinistin Bomsori Kim, das Klavierduo Sivan Silver und Gil Garburg, den Cellisten Kian Soltani mit einer Uraufführung eines Kompositionsauftrages von Marcus Nigsch, die Violinistin Sayaka Shoji, den Cellisten Laszlo Fenyö und den Pianisten sowie Komponisten Fazıl Say.

Kommen Sie in den Genuß unseres neuen Begleitprogramms „Klangbilder – die Orgel im Fokus“ mit Martin Haselböck, einer der führenden Organisten unserer Zeit, und reisen Sie mit uns exklusiv mit den „Meisterkonzerten unterwegs“ nach Zürich zu einem Abend mit dem Tonhalle Orchester unter der Leitung von Paavo Järvi.

Musik verbindet Menschen auf eine Weise, die Worte oft nicht vermögen. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Freude und inspirierende Momente bei den Bregenzer Meisterkonzerten.

Michael Ritsch, MBA
Bürgermeister

Mag. Michael Rauth
Stadtrat für Kultur

SO, 17. November 2024

Antwerp Symphony Orchestra
Shiyeon Sung – Leitung
Kim Bomsori – Violine

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2024/2025 können Sie hier digital ansehen.

August de Boeck (1865 – 1937)
Rhapsodie Dahoméenne
(auch Dahomese-, Dahomeese- oder Dahomey Rhapsodie)

Max Bruch (1838 – 1920)
1. Violinkonzert in g-Moll Opus 26
1. Satz: Introduktion, Allegro moderato
2. Satz: Adagio
3. Satz: Finale: Allegro energico

Antonín Dvořák (1841 – 1904)
Symphonie Nr. 6 in D-Dur Opus 60
1. Satz Allegro non tanto
2. Satz: Adagio
3. Satz: Scherzo – Furiant
4. Satz: Finale: Allegro con spirito

Die Rhapsodie Dahoméenne von August de Boeck

Ein rätselhafter Titel und ein Komponist, dessen Name in Mitteleuropa kaum bekannt ist, so beginnt ein Konzert, das ansonsten nicht mit Populärem geizt. August de Boeck, im belgischen Merchtem geboren und dort auch gestorben, war ein sehr fleißiger Musiker und Komponist. Lange wirkte er als Organist an verschiedenen Kirchen, dann wurde er als Professor für Harmonielehre berufen, zuerst an das Konservatorium Antwerpen, dann nach Brüssel. Schließlich wurde er Direktor des Konservatoriums seiner Heimatstadt Merchtem, eine Position, die er bis zu seiner Pensionierung innehatte. De Boeck schuf zahlreiche Kompositionen: Orchesterwerke, geistliche Werke, sieben abendfüllende Bühnenstücke und eine lange Reihe von Stücken für Blasorchester, eine im flämisch-niederländischen Kulturkreis besonders beliebte Musikform.

Auch von der Rhapsodie Dahoméenne hat August de Boeck nach der Fassung für Symphonieorchester zusätzlich eine Version für das Blasorchester geschaffen. In welcher Besetzung auch immer, diese Rhapsodie gilt als das beliebteste Werk des flämischen Komponisten, und er war erst achtundzwanzig Jahre alt, als er sie schrieb. Die Entstehungsgeschichte erzählt de Boecks bester Freund und Mentor Paul Gilson, ebenfalls Komponist, wie folgt: „Eines schönen Tages traf ich De Boeck, der, nachdem er seinen letzten Zug verpasst hatte, in einem Varieté im Zentrum gelandet war, wo ein Orchester aus Dahomey Furore machte. Er war frappiert von dieser Musik mit ihren stampfenden Rhythmen, die von den Schlaginstrumenten noch akzentuiert wurden, und machte sich Notizen. ‚Schau einmal‘, vertraute er mir an, ‚welche schönen Themen ich in Reserve habe.‘ Ich überprüfte die Skizzen und antwortete begeistert: ‚Gib her, ich werde etwas Verblüffendes daraus machen.‘ De Boeck entriss mir aber die Notizen mit den Worten: ‚Nein, mein Lieber, das bewahre ich schon für mich selbst.‘“

Echte afrikanische Themen, das heißt Musik aus dem damaligen Dahomey, das heute den Namen Benin trägt, findet man in dieser Rhapsodie nur schwerlich, wie überhaupt die Folklore in der Musik des Neunzehnten Jahrhunderts immer dieselben Merkmale hat, ganz gleich, woher sie angeblich kommt. Das sind besondere Harmonien oder Rhythmen sowie der rasche Wechsel von lebhaften und langsamen Abschnitten. Jedenfalls bescherte die Rhapsodie Dahoméenne dem jungen Komponisten einen „blitzartigen Erfolg“, wie der Freund Paul Gilson schreibt, und er hob ihn sogleich „auf das Niveau eines Rimski-Korsakoff“.

Max Bruchs Violinkonzert:
das einzige berühmte Werk seines Schöpfers

Max Bruch konnte sich schnell einmal ärgern. Am meisten ärgerte er sich darüber, dass sein erstes Violinkonzert dermaßen populär wurde, dass man darüber alle seine anderen Kompositionen übersah. So schrieb er an seinen Verleger folgende Tirade: „Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger. Alle vierzehn Tage kommt einer und will mir das erste Concert vorspielen: ich bin schon grob geworden und habe zu Ihnen gesagt: ‚Ich kann dieses Concert nicht mehr hören – habe ich vielleicht nur dieses eine Concert geschrieben? Gehen Sie hin und spielen Sie endlich einmal die anderen Concerte, die ebenso, wenn nicht besser sind!‘“

Dabei hätte Max Bruch, geboren 1838 in Köln und gestorben 1920 nahe Berlin, durchaus zufrieden sein können. Als Komponist wurde er zu seinen Lebzeiten ähnlich hoch geachtet wie Johannes Brahms, und das heißt viel, hat doch Brahms mit seinen musikalischen Tätigkeiten mehr als nur gut leben können Max Bruch schätzte Johannes Brahms, kritisierte aber auch immer wieder dessen angeblich konstruierte und komplizierte Art zu komponieren. Ganz und gar nicht einverstanden zeigte sich Max Bruch mit der so genannten „neudeutschen Schule“, also Richard Wagner oder Franz Liszt, die er als „Zukünftler“ oder gar „Kuhzünfter“ schmähte, und völlig ablehnend stand er den „grauenhaften Producten der Herren R. Strauss, Reger und Consorten“ gegenüber. Max Bruchs schwieriger Charakter äußert sich auch in der Tatsache der häufigen Wechsel von Wohnort und Anstellung, aus letzteren schied er oft im Zwist. So führte ihn sein Weg unter anderem nach Koblenz, der thüringischen Residenzstadt Sondershausen, Berlin, Bonn, Liverpool und Breslau.

In erstaunlichem Gegensatz dazu stand sein durchwegs glückliches Familienleben. Mit seinen Eltern – der Vater war Jurist und die Mutter Sängerin und Gesangslehrerin – verlebte Max Bruch eine harmonische Kindheit, wo schon früh seine Musikalität entdeckt und gefördert wurde. Auch mit seiner Schwester Mathilde, genannt Till, hatte er eine innige Beziehung, die so weit ging, dass sie, als Max die Anstellung in Sondershausen antrat, zu ihm zog, ihm den Haushalt führte und ihn in künstlerischen Belangen unterstützte. Nach mehreren Liebesbeziehungen, die im Sande verliefen, heiratete Max Bruch schließlich die Sängerin Clara Tuczek. Er verbot ihr, weiter auf der Bühne zu stehen, jedoch trat sie immer wieder als Altistin in einer der Kantaten und Oratorien aus der Feder ihres Ehegatten auf. Aus dieser offenbar glücklichen Ehe gingen vier Kinder hervor.

Noch einmal sei eingegangen auf die vielen Kompositionen Max Bruchs, die er über das so berühmte „Erste Violinkonzert“ hinaus geschrieben hat. Heute noch kennen wir ein Stück für Cello und Orchester mit dem hebräischen Titel „Kol Nidrei“. Von den Nationalsozialisten wurde Max Bruch auf Grund dieses Werks sogar als Jude geschmäht, obwohl er in Wirklichkeit einen Hang zum Antisemitismus hatte. Auch Bruchs „Schottische Fantasie“ für Violine und Orchester steht, wenn auch selten, auf heutigen Konzertprogrammen. Seine vier Opern, drei Symphonien, seine zahlreichen Kantaten und Oratorien, seine Lieder, Klavier- und Kammermusik, all das wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts vergessen. Zu verbindlich, in den Vokalwerken wohl auch zu deutschnational, tritt uns diese Musik heute entgegen.

In seinen Kompositionen fühlte sich Max Bruch der „reinen, vollkommenen Schönheit“ verpflichtet. Das spürt man auch in seinem berühmten „Ersten Violinkonzert“. Erst sechsundzwanzig Jahre alt war Max Bruch, als er sich dieses Werk vornahm. Obwohl er selbst Pianist war, fühlte er sich zur Geige hingezogen, „weil die Geige die Melodie besser singen kann als das Klavier, und die Melodie ist die Seele der Musik“. Der Entstehungsprozess dieses berühmten Violinkonzerts war keineswegs einfach. Bruch zog verschiedene Geiger zu Rate und war auch einmal nahe dran, aufzugeben. Besonders Joseph Joachim gab allerhand wichtige Anregungen zur Komposition, wie er es übrigens auch bei den Konzerten von Brahms oder Dvořák tat. 1866 wurde das Konzert in Koblenz erstmals gegeben, Solist war Otto von Königslöw, dirigiert hat Bruch selbst. Die zweite und heute gültige Fassung, an der Joseph Joachim erneut stark beteiligt war, erklang 1868 mit ihm als Solisten. Der erste Satz beginnt mit einem Solo der Pauke, was sofort an Beethovens Violinkonzert denken lässt. Der Satz hat rhapsodischen Charakter, was in etwa bedeutet, dass die Themen immer weitergesponnen werden. Das erinnert an Johannes Brahms’ Technik der „entwickelten Variation“, die später von Arnold Schönberg so bewundert wurde. Der zweite Satz schließt direkt an den ersten an und bildet das Herzstück des Werkes. Schier unendlich spinnt die Violine ihre Melodie, nicht ohne einige Tonarten zu durchschreiten, die für neue Klangfarben sorgen. Einen ganz anderen Charakter bringt der dritte Satz mit sich. Mit seiner ungarischen Melodik trägt er unverkennbar die Handschrift Joseph Joachims, der im heutigen Burgenland gebürtig war. Hier kann der Solist, die Solistin mittels komplexer Doppelgriffe auch Virtuosität zeigen.

Während das Notenmaterial der 1866 uraufgeführten Erstfassung von Bruchs Violinkonzert verschollen ist, rankt sich ein wahrer Krimi um das Manuskript der endgültigen Version. Bruch bot es 1910 aufgrund von Geldproblemen zum Kauf an. Eine Investorengruppe um den Geiger Eugène Ysaÿe wollten es der National Library in Washington stiften, scheiterte aber mit diesem Plan. Kurz vor seinem Tod 1920 fand Bruch in den Schwestern Rose und Ottilie Sutro Käuferinnen. Das Geld kam schließlich nach seinem Tod und wurde seinen Kindern in aufgrund der Inflation wertlosen Papierscheinen ausbezahlt. Die Sutro-Schwestern verweigerten jegliche Auskunft zum Verbleib der Partitur. Inzwischen weiß man, wo sie sich befindet. Nach mehrmaligen Besitzerwechseln wird sie nun in der Pierpont Morgan Library in New York City aufbewahrt.

 

Böhmische Klänge
Die Symphonie Nr. 6 von Antonín Dvořák

Es lief ziemlich gut für den Komponisten Antonín Dvořák in den Jahren um 1880, die Zeit, in der er seine 6. Symphonie schrieb. Denn Johannes Brahms, einer der einflussreichsten Musiker seiner Zeit, machte den mächtigen Verleger Fritz Simrock auf Dvořák aufmerksam. Dieser bestellte sogleich bei dem damals nur lokal bedeutenden Komponisten eine Reihe „Slawischer Tänze“ und bald darauf eine „Slawische Rhapsodie“. Simrock kam eigens nach Prag, um mit Dvořák die Verträge zu schließen, aber er gab ihm für diese ersten Veröffentlichungen kein Honorar – er ließ den Tschechen Dvořák spüren, dass er in Deutschland noch völlig unbekannt war. Später jedoch, nach den großen Erfolgen dieser Werke, zahlte Simrock recht anständig, beispielsweise für Dvořáks Violinkonzert 1000 Mark, für seine 7. Symphonie schon 6000 Mark. Zur Illustration: ein Herrenanzug kostete zu dieser Zeit zwischen 10 und 75 Mark.

Vielleicht sollte man sich vergegenwärtigen, dass im Neunzehnten Jahrhundert gedruckte Noten die wohl wichtigste Art der Verbreitung neuer Werke war. Denn in dieser Zeit, in der es noch keine Aufnahmen gab, war die private wie auch die öffentliche Aufführung von Musik die einzige Art, sie zu Gehör zu bringen. Und noch etwas war anders als jetzt: man wollte neue Musik, die Musik der Vergangenheit interessierte nur Spezialisten.

Antonín Dvořák hatte bis dahin in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt. Als Sohn eines Gastwirts und Metzgers absolvierte er selbst eine Metzgerlehre. Er erhielt aber auch Musikunterricht und konnte schließlich achtzehnjährig in die Orgelschule in Prag eintreten, die er auch abschloss. Er spielte als Bratscher in verschiedenen Orchestern, unten anderen unter dem Dirigat von Franz Liszt und Richard Wagner. Und er wirkte bei der Uraufführung von Friedrich Smetanas Oper „Die verkaufte Braut“ mit, die als die tschechische Oper schlechthin gilt. 1873 konnte er erste kompositorische Erfolge feiern. In diesem Jahr heiratete er Anna Čermaková, die ihm über dreißig Jahre lang eine liebende Gattin sein würde. Zuerst allerdings verehrte er deren Schwester Josefina. Schmunzelnd erinnert man sich an eine ähnliche Geschichte bei Mozart, den Dvořák übrigens abgöttisch verehrte. Obwohl Antonín Dvořák strenggläubiger Katholik war und täglich die Frühmesse mitfeierte, siegte in der Beziehung zu seiner Braut offenbar doch die Leidenschaft über die kirchlichen Gebote, denn das erste Kind des Paares kam fünf Monate nach der Hochzeit zur Welt. Der Knabe starb noch als Kleinkind, wie auch die beiden Kinder, die nach ihm auf die Welt kamen. Sechs weitere Kinder des Ehepaares Dvořák erlebten dann aber das Erwachsenenalter. Das Einkommen, das nun mit dem Vertrag mit Fritz Simrock ins Haus kam, wie auch schon ein Stipendium aus Wien kurz zuvor, das ebenfalls Brahms veranlasste, ermöglichte der Familie ein komfortableres Leben. Man übersiedelte in eine geräumigere Wohnung, was Dvořák auch deshalb glücklich machte, da er von dieser aus einen Blick auf einen Bahnhof hatte, denn die Eisenbahn, aber auch Schiffe oder ähnliches, vermochten ihn zu begeistern.

Nun breitet sich das Interesse an der Musik Dvořáks rasant aus. In ganz Europa, vor allem in England, schätzte man den Komponisten. So absolvierte er mehrere erfolgreiche Konzertreisen als Dirigent eigener Werke. Er wurde vom Kaiser in Wien empfangen und an das Prager Konservatorium berufen. Bald erreichte sein Ruhm auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Musikmäzenin Jeanette M. Thurber machte Dvořák den Vorschlag, Direktor des von ihr gegründeten National Conservatory of New York zu werden. Nach kurzer Überlegung sagte er zu und blieb vier Jahre in den USA, wo er sich durchaus wohl fühlte. Sein berühmtestes Werk, die „Symphonie Nr. 9, Aus der Neuen Welt“ entstand dort.

Zurück in Europa, war er als „böhmischer Brahms“ einer der höchst geschätzten Komponisten seiner Zeit. Antonín Dvořáks Werke sind auch heute vielfach in den Konzertprogrammen zu finden, jedoch wird von seinen zehn Opern nur mehr „Rusalka“ gespielt.

Kehren wir zurück zur 6. Symphonie. Dem Dirigenten Hans Richter war daran gelegen, tschechische Musik zu fördern. So gab er Antonín Dvořák den Auftrag zu einer neuen Symphonie, die der Komponist in weniger als einem Monat schrieb. Die Uraufführung in Wien unter Richter war für Dezember 1880 angesetzt. Sie konnte jedoch nicht stattfinden, da sich einige Mitglieder der Wiener Philharmoniker weigerten, das Werk eines Slawen zu spielen – die andauernden Spannungen zwischen Tschechien und dem deutschsprachigen Teil des Kaiserreiches seien hiermit nur am Rande erwähnt. Unter dem Dirigenten Adolf Čech wurde die Symphonie dann in Prag am 25. März 1881 gegeben. Das Publikum reagierte derart begeistert, dass man den dritten Satz, einen „Furiant“, wiederholen musste. Der „Furiant“, ein böhmischer Volkstanz, wurde hier zum ersten Mal in eine Symphonie integriert. Typisch ist ein Wechsel zwischen Zweier- und Dreierrhythmus. Damit tritt uns das Scherzo, also der dritte Satz von Dvořáks „Sechster“, entgegen. Auch in den anderen Sätzen finden wir Anklänge an böhmische Volksmusik. So gewann der Komponist das erste Thema des Kopfsatzes aus einem Volkslied. Immer wieder bemerkt man in dieser Symphonie aber auch den Einfluss der großen Vorbilder Dvořáks, nämlich Beethoven und Brahms. An ersteren, nämlich an den langsamen Satz aus dessen „Neunter“, gemahnt zumindest abschnittsweise das „Adagio“, an Brahms der letzte Satz mit seiner großartigen Steigerung. Und nicht nur die Tonart D-Dur erinnert an die „Zweite“ des großen Freundes und Mentors Brahms. Es ist auch der heitere, pastorale Charakter, der die beiden Symphonie verbindet.

SA, 14. Dezember 2024

Israel Chamber Orchestra
Christoph Poppen – Leitung
Sivan Silver & Gil Garburg – Klavier

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2024/2025 können Sie hier digital ansehen.

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Ouvertüre zur Oper „Le nozze di Figaro“

Aviya Kopelman (*1978)
New Piece

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Konzert für zwei Klaviere in Es-Dur KV 365
1. Allegro
2. Andante
3. Rondo: Allegro

Joseph Haydn (1732 – 1809)
Symphonie in Es-Dur Nr. 103 „Mit dem Paukenwirbel“
1. Adagio – Andante con spirito
2. Andante piu tosto allegretto
3. Menuett
4. Finale: Allegro con spirito

Mozarts Ouvertüre zu „Le nozze di Figaro“

Trotz ihrer komplizierten Handlung zählt Mozarts Oper „Le nozze di Figaro“, zu Deutsch „Die Hochzeit des Figaro“ zu den beliebtesten Musiktheaterwerken überhaupt. Das liegt sicher an der wunderbaren Musik, die höchst facettenreich und dennoch in einem eingängigen Ton gehalten ist. Und es liegt an den köstlichen Charakteren und deren vielfältigen Liebesgeschichten. Da gibt es den Pagen Cherubino, der in seinem pubertären Hormonsturm einfach in alle Frauen im Schloss des Grafen Almaviva verliebt ist. Und da gibt es die erkaltete Liebe des Grafen-Ehepaares, wo andererseits der Graf schamlos der Kammerzofe seiner Frau nachstellt. Diese, Susanna, will die starke, gereifte Liebe zu ihrem Figaro, dem Kammerdiener des Grafen, nun endlich mit einer Hochzeit besiegeln. Alles ist sehr kompliziert und nicht ohne Wirrungen zu bewältigen, jedoch kommt es, so will es die Form der Opera buffa, zu einem glücklichen Ende, das Mozart mit einer seiner bewegendsten Melodien krönt.

In einer Ouvertüre der Romantik, etwa von Carl Maria von Weber oder Giuseppe Verdi, würde man diese wunderbare Melodie, ebenso wie einige weitere eingängige Themen der Oper, hören können. Nicht so bei Mozart. Denn zu seiner Zeit hieß die „Ouvertüre“ noch „Sinfonia“ und war eher eine atmosphärische Einstimmung auf das nachfolgende Bühnenwerk, ohne musikalische Themen vorwegzunehmen. Im Falle von Mozarts „Figaro“ lässt wohl das quicklebendige Tempo (obwohl es über dieses durchaus Meinungsverschiedenheiten unter Dirigenten gibt) und die wirbelnde Melodik, den „tollen Tag“, so der Untertitel des der Oper zugrunde liegenden Theaterstücks von Beaumarchais, spürbar werden?

In Wien wurde „Le nozze di Figaro“ im Jahr 1786 uraufgeführt. Man kann zwar von einem Erfolg sprechen, überwältigend war er jedoch nicht. Ganz anders bald darauf in Prag, wo sich die Stadt förmlich in einem „Figaro“-Fieber befand. So schreibt Mozart in einem Brief: „hier wird von nichts gesprochen als von – Figaro; nichts gespielt, geblasen, gesungen und gepfiffen als – Figaro. Keine Oper besucht als Figaro und ewig Figaro; gewiß große Ehre für mich …“

Aviya Kopelman
New Piece

Aviya Kopelman ist eine israelische Komponistin. Sie wurde 1978 in Moskau geboren und wuchs in Israel auf. Bereits 2013 wurde sie für mehrere Jahre zum Composer in Residence des Jerusalem Symphony Orchestra ernannt und war eine der jüngsten Preisträger:innen, die jemals den Israelischen Staatspreis für Komposition erhielt. Der Katalog ihrer Werke ist erstaunlich umfangreich, dennoch findet sie Zeit zum Unterrichten, etwa an den Universitäten von Tel Aviv und Haifa. Ein besonderes Anliegen ist Aviya Kopelman das Musikschaffen von Frauen, wo sie aufgrund ihrer herausragenden Positionen auch immer wieder für noch weniger arrivierte Kolleginnen Auftritts- und Arbeitsmöglichkeiten bereithält. Auch beschränkt sich Aviya nicht auf die Klassische Musik, sondern sie beschäftigt sich mit Jazz, Rock und experimentellen Klängen.

Aviya Kopelman ist international erfolgreich. Ihre Werke wurden von so renommierten Ensembles wie dem Kronos Quartet und dem Quartetto di Cremona, dem Frauenorchester Stockholm sowie der Sopranistin Dawn Upshaw aufgeführt.

Zu ihrem Stück „New Piece“ äußert sie sich folgendermaßen: „Dieses Orchesterstück entspringt dem Innersten meiner israelischen Seele. Mit seinem drängenden Ton unterstreicht es die Notwendigkeit, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Seit jeher trauert jede düstere Melodie um diejenigen, deren Zuhause keine Sicherheit bietet und deren Leben von der ständigen Bedrohung durch Gewalt überschattet wird. Mein Stück soll ein Aufruf zum Handeln sein, damit wir friedensstiftende Maßnahmen an die erste Stelle setzen und eine Kultur der Gewaltlosigkeit fördern. Durch die Auseinandersetzung mit dem generationenübergreifenden Trauma, das durch ständige Konflikte verursacht wird, und durch die Förderung von Empathie und Verständnis will diese Komposition einen Beitrag zu dem wichtigen Weg zu dauerhaftem Frieden und Versöhnung leisten.“

Mozart und seine Klavierkonzerte

Neben seinen Opern, die bis heute unüberbietbare Gipfelwerke der Gattung darstellen, bewundert die Musikwelt Mozart vor allem auch für seine Klavierkonzerte. Einundzwanzig Konzerte hat er für ein Klavier und Orchester geschrieben, und je eines für zwei Klaviere beziehungsweise drei Klaviere. Mit Bearbeitungen fremder Werke bereitete er sich für diese Besetzung vor, um schließlich 1773 sein erstes eigenes Konzert herauszubringen; es trägt die Köchel-Nummer 174.

Ins Zentrum von Mozarts Schaffen rückt die Gattung des Klavierkonzerts, als er nach einem Bruch mit seinem Dienstgeber, dem Fürsterzbischof von Salzburg, das Leben eines freischaffenden Musikers in Wien wählte. Die kaiserliche Hauptstadt sei für sein „Metier der beste Ort von der Welt“, schrieb er seinem besorgten Vater Leopold Mozart. Wolfgang komponierte allein zwischen 1782 und 1786 fünfzehn Klavierkonzerte. Er schrieb sie für sich und führte sie selbst auf, vom Klavier aus dirigierend. Diese so genannten „musikalischen Akademien“, die Mozart selbst veranstaltete, entwickelten sich zu einer famosen Einnahmequelle. Diese Konzerte brachten ihm jeweils etwa tausend Gulden. Zum Vergleich: seiner Hausmagd zahlte er einen Gulden pro Tag, und für eine Unterrichtsstunde nahm er vom Schüler beziehungsweise der Schülerin zwei Gulden. Mozart leistete sich und seiner Frau Constanze ein komfortables Leben. Man bezog eine geräumige Wohnung nahe dem Stephansdom (heute das „Figaro-Haus“, ein sehenswertes Museum), hatte Bedienstete und hielt ein Reitpferd. Mozart war sozusagen ein Popstar im damaligen Wien, doch auch ausgewiesene Musikkenner waren fasziniert von Mozarts pianistischem Können. So sagte Joseph Haydn, er könne Mozarts Spiel sein Leben lang nicht vergessen, denn „das ging ans Herz“, und Muzio Clementi bekannte: „Ich hatte bis dahin niemand so geist- und anmutvoll vortragen gehört“.

Leider hielt dieser Erfolg nicht an, in Wien schwand das Interesse an Mozart und seiner Musik. Allzu bekannt ist die Tatsache, dass Mozart in den späteren Jahren peinliche Briefe an Freunde und Gönner richtete, in denen er um Geld bat. Tatsächlich hat Mozart nie eine Anstellung bei Hof erhalten, zuletzt hatte er das Amt des Vizekapellmeisters des Domes Sankt Stephan inne. Was zur Geldknappheit der Familie Mozart beitrug, kann nur vermutet werden. Waren es die Kuren Constanzes nach ihren häufigen Schwangerschaften? Oder war es der nach wie vor aufwändige Lebensstil Mozarts, der nachweislich viel für gute Kleidung ausgab und auch dem Glücksspiel nicht abgeneigt war?

Zurück ins Jahr 1779, in dem vermutlich das Konzert für zwei Klaviere KV 365 entstanden ist. In diesem Jahr finden wir Wolfgang Amadé Mozart (er selbst nannte sich immer Amadé und nie Amadeus) in Salzburg. Eine glücklose, ja tragische Reise führte ihn eineinhalb Jahre zuvor nach Mannheim und Paris. Seine Mutter Anna Maria Mozart, die ihn begleitete, starb in Paris, und die Hoffnungen auf eine Anstellung erfüllten sich nicht. So musste Mozart erneut den ungeliebten Dienst beim Salzburger Fürsterzbischof annehmen. Das Konzert KV 365 schrieb Mozart für sich und seine Schwester Maria Anna Walpurga Ignatia, genannt Nannerl. Sie war fünf Jahre älter als Wolfgang und das vierte, jedoch erste überlebende Kind der Familie. Es lohnt sich, auf die wohl kaum weniger begabte Schwester des Genies Wolfgang Amadé Mozart näher einzugehen. „Stellen Sie sich einmal ein Mägden von 11 Jahren vor, das die schweresten Sonaten und Concert der grösten Meister auf dem Clavessin oder Flügel auf das Deutlichste, mit einer kaum glaublichen Leichtigkeit
fertiget und nach dem besten Geschmack wegspielt. Das muß schon viele in eine Verwunderung sezen.“ So las man im Wochenblatt „Augsburgischer Intelligenz-Zettel“ vom 19. Mai 1763 über Nannerl Mozart. Sie trat mit ihrem Bruder in München und am kaiserlichen Hof in Wien auf und machte zusammen mit ihm und dem Vater Leopold Mozart 1763 bis 1766 eine dreijährige Konzertreise, die unter anderem nach England, Holland und in die Schweiz führte. Ihre Reisenotizen zeugen vom tiefen Eindruck, den all das auf das junge Mädchen machte. Nachdem 1778 die Mutter gestorben war, gingen die Haushaltspflichten auf Nannerl über, als älteste Tochter der Familie. Bald aber heiratete sie den Freiherrn zu Sonnenburg, der um fünfzehn Jahre älter war als sie und fünf unmündige Kinder mit in die Ehe brachte. Am Wohnort der Sonnenburgs in Sankt Gilgen am Wolfgangsee hatte sie für diese sowie drei eigene Kinder fortan zu sorgen. Dank ihres Hauspersonals war es Nannerl jedoch nach wie vor möglich, sich dem Klavierspiel zu widmen, aber an Auftritte war in ihrem Stand als Adelige, Ehefrau und Mutter nicht mehr zu denken. Als ihr Ehemann 1801 starb, verlegte sie ihren Wohnort zurück nach Salzburg in die Sigmund-Haffnergasse. Dort empfing sie Verehrer ihres Bruders Wolfgang, die oft von weither reisten, um den Ort von Mozarts Geburt und seines ersten Wirkens kennenzulernen, und sie hatte große Freude am Kontakt zu ihrem Neffen Franz Xaver Wolfgang Mozart, dem Sohn von Wolfgang Amadé und Constanze. Franz Xaver war ebenfalls Klaviervirtuose und Komponist. Maria Anna Freifrau zu Sonnenburg, also Nannerl, starb 1829 und überlebte so ihren Bruder, aber auch Haydn, Beethoven und Schubert. Heute noch kann man ihr Grab auf dem Petersfriedhof in Salzburg besuchen.

Bei seinem Konzert für zwei Klaviere KV 365 für seine Schwester und sich selbst hatte Mozart also eine Musizierpartnerin von allererstem Können an der Seite, auf die er keine spieltechnischen Rücksichten nehmen musste, so wie das bei seinen früheren Konzerten der Fall war, die Großteils Auftragswerke waren. So konnte er voll und ganz das dialogische Prinzip anwenden, nicht nur zwischen den beiden Soloparts, sondern auch zwischen diesen und dem Orchester. Das dialogische Prinzip ist eine Grundidee des Instrumentalkonzerts. Der Solist beziehungsweise die Solistin repräsentiert ein Individuum, das einem Kollektiv gegenübertritt, zuweilen friedvoll-freundlich, aber zuweilen auch fordernd-anklagend. Das Klavierkonzert KV 365 zeichnet sich also durch Lebendigkeit aus, aber auch durch eine Ausdruckstiefe, die man bislang in den Werken Mozarts noch nicht vernahm. Vor allem tritt diese im Mittelsatz zutage, wo die Klaviere in einen innigen Dialog mit den Holzbläsern des Orchesters treten.

Im Hinblick auf das weitere Schaffen Mozarts fällt die Tonart des Konzerts Es-Dur auf. Sie verleiht, nach der damals gültigen Tonartensymbolik, dem Werk Erhabenheit und Feierlichkeit. So steht die wunderbare Symphonie KV 543 in dieser Tonart, und in Es-Dur erklingt auch die Musik der Priesterszenen in der „Zauberflöte“.

Haydn
„Meine Sprache versteht die ganze Welt“

Joseph Haydn war ein enger Freund Mozarts. Beide gehörten derselben Freimaurerloge an, und der um vierundzwanzig Jahre ältere Haydn gab dem Salzburger wichtige Impulse, vor allem was die Komposition von Streichquartetten betrifft. Bei Mozarts Vater Leopold äußerte sich Haydn folgendermaßen: „Ich sage ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Komponist, den ich von Person und dem Namen her kenne. Er hat Geschmack und überdies die größte Kompositionswissenschaft.“

Die Gattung des Streichquartetts wurde von Joseph Haydn quasi erfunden, und in gewisser Weise kann man das auch über die Gattung der Symphonie sagen. Haydn entwickelte sie von der leichtgewichtigen Gesellschaftsmusik der Vorklassik zu einer Kunstform, die die philosophischen Strömungen der Epoche der Aufklärung widerspiegelt. Mit Joseph Haydn wird die Symphonie nach und nach zu einem Manifest idealer Menschlichkeit. Die vier Sätze dieser Kunstform präsentieren jeweils einen humanen Aspekt. Mit ihrer Anlehnung an eine ideale Rede stellt der erste Satz einer Symphonie, der so gut wie immer in der Sonatenhauptsatzform steht, die geistig-intellektuelle Seite dar. Man kann sich das so vorstellen: ein Argument (erstes Thema) wird aufgestellt, ein zweites, vielleicht gegensätzliches Argument folgt (zweites Thema). Beide Argumente beziehungsweise Themen werden miteinander diskutiert, erwogen (die Durchführung), um schließlich die Argumente noch einmal zu reflektieren (die Reprise). Der langsame Satz einer Symphonie (meist ist es der zweite) hat oft lyrischen Charakter und steht so für die gemüthafte, gefühlsbetonte Seite des Menschen. Erst im Laufe der Entwicklung hat Haydn schließlich einen tänzerischen Satz, also das Menuett, eingeführt, das somit den Körperbezug darstellt. Der vierte und letzte Satz einer Symphonie kann verschiedene Charaktere zeigen. Vielleicht steht er nochmals in der Sonatenhauptsatzform, oft aber ist er ein fröhlicher Ausklang oder gar so etwas wie ein Rausschmeißer. Die Form der Symphonie, die auch die einer Sonate oder eines Streichquartettes ist, wurde also von Joseph Haydn entwickelt und hat die Musik des Abendlandes entscheidend geprägt. Dass sich all das in der Abgeschiedenheit des Hofs des Fürsten Esterhàzy in Eisenstadt zutrug, erstaunt. Haydn selbst erklärt es so: „Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beyfall, ich konnte als Chef des Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen, ich war von der Welt abgesondert. Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so mußte ich original werden.“

Dennoch drang der Ruf Joseph Haydns bald über Esterháza, ja über Wien hinaus. So bestellte die „Loge Olympique“ in Paris im Jahr 1784 für ihre Konzerte bei Haydn sechs Symphonien. Dieses Orchester galt damals als eines der besten in ganz Europa, nicht zu vergleichen mit dem Ensemble in Esterháza. Die „Pariser Symphonien“ bekamen wie viele Symphonien Haydns Titel, meist von der Nachwelt, wie etwa „L’ours“ – „Der Bär“, oder „La Reine“ – „Die Königin“. Im selben Jahr erreichte Haydn eine Einladung aus London für eine Konzertreise dorthin. Er konnte ihr aber nicht folgen, da er keinen Urlaub bekam.

Im Jahr 1790 starb der langjährige Dienstherr Joseph Haydns, Fürst Nicolaus I. von Esterházy, genannt der Prachtliebende. Seine Nachfolger hatten wenig Interesse an der Musik und lösten die Hofkapelle auf. Haydn bekam eine schöne Rente mit der einzigen Verpflichtung, einmal im Jahr zum Namenstag der Fürstin Maria Josepha Hermengild eine Festmesse zu schreiben. Auf die erneute Einladung des Impresarios Johann Peter Salomon reiste Haydn 1791 nach London. Haydn war da bereits sechzig Jahre alt, völlig unbedarft, was Reisen betraf, und er konnte kein Englisch. Auf Bedenken seines reiseerfahrenen Freundes Mozart hin sagte er: „Meine Sprache versteht die ganze Welt“ und meinte damit natürlich die Musik. Diese Englandreise und eine zweite 1794 dauerten jeweils mehrere Monate und wurden zum Triumph für Haydn. Mit seinen „Londoner Symphonien“ erreichte er den Höhepunkt seines sinfonischen Schaffens. Ohne die großen Symphonien Haydns sind auch die epochalen Symphonien Beethovens nicht denkbar.

Im heutigen Konzert hören wir die „Sinfonie mit dem Paukenwirbel“ Hob 1: 103, nicht zu verwechseln mit der allseits bekannten „Symphonie mit dem Paukenschlag“ Hob 1: 94. Die „Symphonie mit dem Paukenwirbel“ ist die vorletzte der einhundertvier Symphonien, die Haydn geschrieben hat. Sie steht, wie schon Mozarts Klavierkonzert, in der feierlichen Tonart Es-Dur. Der namensgebende Paukenwirbel ist notiert mit einem leeren ganzen Takt mit Fermate und der Bemerkung „Intrada“. Meist wird hier ein Paukenwirbel unterschiedlicher Dynamik gespielt, aber im Sinne der historischen Aufführungspraxis wäre auch eine umfangreichere Solokadenz der Pauke denkbar. Dieser ungewöhnliche Beginn einer Symphonie, verbunden mit der folgenden geheimnisvollen Basslinie, ist umso gewichtiger, da dieser im Verlaufe des Satzes wiederkehrt. In der parallelen Tonart c-Moll tritt uns das „Andante piu tosto allegretto“ entgegen: ein Variationensatz mit zwei Themen. Das energiegeladene Menuett lässt Haydns Sinn für musikalischen Humor aufblitzen. Und der letzte Satz bringt erneut den Musikkenner, die Kennerin zum Erstaunen, denn hier erleben wir keinen leichtgewichtigen Rausschmeißer, sondern einen Satz mit sorgfältigster und denkbar kunstfertiger thematisch-motivischer Arbeit. Vergleichbar ist dieser Satz mit dem Finale von Mozarts „Jupitersymphonie“ oder dem letzten Satz aus der „Fünften“, also der „Schicksalssymphonie“ Beethovens.

Bei seinen letzten Symphonien in London konnte Haydn mit einem leistungsfähigen Orchester rechnen, ebenso mit einer gebildeten Zuhörerschaft, sodass er sich zu diesem kompositorischen Höhenflug aufschwingen konnte. Keineswegs war jedoch mit diesen Symphonien Haydns Schaffen abgeschlossen. Vielmehr kam er in London in Berührung mit den Oratorien Händels, welche ihn zu seinen ebenfalls höchst erfolgreichen Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“ anregten.

So glücklich sich seine musikalische Laufbahn zeigt, so schwierig war seine Ehe, die kinderlos blieb. Haydns Frau Maria Anna war ihrem Gatten weder charakterlich noch geistig ebenbürtig. Als man sie etwa auf den großen Erfolg ansprach, den ihr Gatte mit seinem Oratorium „Die Schöpfung“ hatte, meinte sie nur: „Die Leute sagen, es soll schön sein. Ich versteh nichts davon.“ Haydn trug dieses Schicksal mit Fassung und pflegte so manche Liebschaft, unter anderen auch mit einer Dame in London.

Somit tritt uns Haydn als ein großer Musiker und großer Mensch entgegen, der das betuliche Attribut „Papa Haydn“, das ihm lange anhaftete, ganz und gar nicht verdient.

FR, 24. Januar 2025

Wiener Symphoniker
Patrick Hahn – Leitung
Kian Soltani – Violoncello

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2024/2025 können Sie hier digital ansehen.

„Michail Iwanowitsch Glinka (1804 – 1857)
Ouvertüre zur Oper „Ruslan und Ludmilla“
Presto

Marcus Nigsch (*1972)
Konzert für Violoncello und Orchester, Nr. 1

Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840 – 1893)
Symphonie Nr. 5 e-Moll op. 64
Andante – Allegro con anima
Andante cantabile, con alcuna licenza
Valse. Allegro moderato
Finale. Andante maestoso – Allegro vivace

 

 

Michail I. Glinka wird oft als „Vater der russischen Musik“ bezeichnet. Sein kompositorischer Weitblick und seine Reisen nach Italien und Frankreich ermöglichten es ihm, europäische Musiktraditionen mit den Idiomen Osteuropas in Verbindung zu bringen.

Diese Stilmerkmale hat Pjotr I. Tschaikowski in seinem kompositorischen Schaffen weitergetragen. Besonders in den sinfonischen Werken hat er gezeigt, wie nationales Kolorit mit der Idee des monumentalen Stils zusammenzubringen ist. Im Rahmen von zahlreichen Konzertreisen hat Tschaikowski diese Errungenschaften wiederum im Westen bekannt gemacht.

Die Ouvertüre von Glinka und Tschaikowskis 5. Symphonie bilden einen üppigen Rahmen für ein Ereignis mit Seltenheitswert. Von den Wiener Symphonikern hat Marcus Nigsch einen Kompositionsauftrag erhalten. Und nun schrieb der in Feldkirch wohnhafte Komponist dem ebenfalls aus Vorarlberg stammenden Cellisten Kian Soltani ein Cellokonzert auf den Leib. Bei den diesjährigen Meisterkonzerten erklingt das Werk zum ersten Mal in Vorarlberg.

Michail Iwanowitsch Glinka
Ruslan und Ljudmila, Ouvertüre zur Oper

Michail Iwanowitsch Glinka (1804–1857) hatte ein kurzes, aber intensives Leben. Zunächst wuchs er in sehr restriktiven Verhältnissen bei seiner Großmutter auf. Bis auf die Klänge der Kirchenglocken und der Natur sammelte er wenige akustische Eindrücke. Erst als die Großmutter starb, lernte das begabte Kind Violine und später auch Klavier, und sein Interesse für Musik wurde geweckt. Als Jugendlicher ging Michail Glinka auf Reisen in die Kaukasusregion, wo er von den lokalen Bräuchen fasziniert war. Reisen nach Italien in den 1830er-Jahren prägten ihn als Komponisten, denn Glinka lernte Bellini, Donizetti und Mendelssohn Bartholdy kennen. Ein Aufenthalt in Frankreich und Spanien brachte den Komponisten mit Hector Berlioz und mit der traditionellen spanischen Musik in Kontakt.

Mit seiner ersten Oper „Ein Leben für den Zaren“ begründete Michail Glinka seinen Ruf als „Vater der russischen Musik“. Sie war die erste Oper, die in russischer Sprache gesungen wurde. In dieser Nationaloper spielen Bauern die Hauptrollen. Das gefiel zwar dem Adel nicht, doch die Oper wurde ein großer Erfolg und Glinka daraufhin zum Kapellmeister der Petersburger Kapelle ernannt.

Sogleich machte sich Glinka an eine neue Oper. „Ruslan und Ljudmila“ beruht auf dem gleichnamigen Poem Alexander Puschkins, von dessen Denken und Handeln Glinka stark beeinflusst war. Wie seine erste Oper ist auch seine zweite in einem volkstümlichen Ton gehalten. Die Oper wurde im Dezember 1842 uraufgeführt, doch bis auf die Ouvertüre war ihr wenig Erfolg beschieden. Dennoch leitete Glinka genau mit dieser Oper die Entwicklung der russischen Nationalmusik ein. Das Werk regte zu zahlreichen Diskussionen an, weil Glinka in seinem kompositorischen Ausdruck den Belcanto Italiens sowie die westeuropäischen Satztechniken mit den orientalisch-persischen Melodiefindungen verband und damit die beiden Musikkulturen zueinander in Beziehung setzte. Ihm gelang es mühelos, die Stilmittel der westeuropäischen Musiktraditionen, wie die Sonatenhauptsatzformen oder den Kontrapunkt, in seine Musik zu integrieren. „Aber noch nie wurden diese Formen in dem überwältigenden Ausmaß verwendet wie in der Oper von Glinka“, schrieb der Musikkritiker Wladimir Odojewski. „Eingeweiht in alle Geheimnisse der italienischen Gesangskunst und der deutschen Harmonielehre, drang der Komponist tief in den Charakter der russischen Melodie; übertalentiert bewies er durch seinen glänzenden Versuch, dass die russische Melodie bis zum tragischen Stil erhoben werden kann.“

Von den nachfolgenden Komponisten, wie Rimsky-Korsakow, Tschaikowski und vielen anderen, wurde Michail Glinka in höchstem Maße verehrt. Tschaikowski sah in ihm und seinen Werken „den Eckstein der russischen Musik“. Bei der Einweihung des neuen Moskauer Konservatoriums im Jahr 1862 veranlasste Tschaikowski, dass die Ouvertüre von „Ruslan und Ljudmila“ als erstes Werk im neu eröffneten Haus erklingen soll. Heute sind die Anerkennung und der Ruhm des Komponisten verblasst und seine Werke finden sich kaum mehr in Konzertprogrammen.

Zum Werk
Der fantastischen Oper „Ruslan und Ljudmila“ liegt das gleichnamige Poem von Alexander Puschkin zugrunde. Die märchenhafte Handlung erzählt die Geschichte von Ljudmila, Tochter des Großfürsten von Kiew. Sie wird vom tückischen Zwerg Tschernomor entführt. Demjenigen, der sie zurückbringt, ist Ljudmila als Braut versprochen. Ruslan macht sich auf den Weg, aber auch zwei weitere Männer wollen Ljudmila finden. Wie seine beiden Kontrahenten, soll Ruslan abgelenkt und betört werden, aber der alte Zauberer Finn rettet ihn. Ruslan besiegt Tschernomor in seinem Zauberschloss, allerdings kann er die vom Zwerg verzauberte Ljudmila nicht aufwecken. Doch mithilfe von Finn schafft er auch diese Herausforderung. Unter allgemeinem Jubel wird schließlich Hochzeit gefeiert. Die Ouvertüre ist relativ einfach aufgebaut. Glinka schildert darin im Wesentlichen die Auseinandersetzung von Ruslan mit seinem Kontrahenten Tschernomor. Aufbrausend wird sie mit einem wirbelnden und vorwärtsdrängenden Thema eröffnet. Diesem ist ein zweites, lyrisches Thema zur Seite gestellt, das in den tiefen Streichern und im Fagott erklingt. Nach den Regeln des Sonatensatzes konfrontiert Glinka die Themencharaktere miteinander und führt sie zum Ende hin in eine triumphierende Conclusio.

Marcus Nigsch
Konzert für Violoncello und Orchester

Marcus Nigsch (*1972) lebt in Feldkirch und genießt als Komponist einen hervorragenden Ruf. Um die Jahrtausendwende stand er als Popsänger Marque mit seinen Hits ganz oben in den Charts.

Doch dem Pop-Business hat der Künstler längst den Rücken gekehrt. Nach einem Studium bei Herbert Willi konzentrierte sich Marcus Nigsch unter anderem auf die Filmmusik. Angefangen bei der Fernsehserie „Die Lottosieger“ über die Kinofilme „Der Blunzenkönig“ mit Karl Merkatz und Ali Samadi Ahadis „Mamba“ bis hin zu den Kino-Dokumentationen von Werner Boote und Teresa Distelberger verlieh er den bewegten Bildern durch seine Musik ein eigenes Profil. Er fand viel Anerkennung für seine Arbeit und wurde mehrfach dafür ausgezeichnet.

Seine Vielseitigkeit zeigt Marcus Nigsch aber nicht nur auf dem Gebiet der Pop-, Film- und Theatermusik, sondern auch auf dem der kammermusikalischen und sinfonischen Werke. Für ihn stehen alle Stilrichtungen gleichberechtigt nebeneinander, und er betrachtet seine Kompositionen mit einem entspannten Verhältnis zur Tradition. „Das Ein- und Aussteigen von der Tonalität in die Atonalität hinein und umgekehrt interessieren mich. Im Vordergrund steht der Fluss in der Musik“, erklärt der Komponist. „Ich glaube, das Rad ist erfunden. Das Rad unbedingt viereckig machen zu wollen, macht die Dinge nicht besser. Ich bin einer, der gerne kombiniert und versucht, etwas aus dem Vorhandenen zu schaffen. Das Neue daran ist, dass ich das gemacht habe.“

Marcus Nigsch ist ein Meister der musikalisch-psychologischen Zeitgestaltung. Dies wird auch im Gespräch rasch klar, wenn er von seinem kompositorischen Zugang erzählt. „Mich interessieren nicht so sehr Klangexperimente, sondern viel mehr fasziniert mich die Emotion in der Musik. Ich möchte etwas zum Schwingen bringen. Mir ist es wichtig, mit dem Handwerk, das ich gelernt habe, meine Aussage zu inszenieren, sodass für die Zuhörenden eine Art Kopfkino entsteht.“

Im Auftrag der Bregenzer Festspiele hat Marcus Nigsch ein groß angelegtes Orchesterwerk komponiert. „In freier Natur, eine Schwärmerei“ wurde anlässlich des 75-jährigen Festspieljubiläums 2021 von den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Dirk Kaftan uraufgeführt. Der Werktitel ist sinnbildlich zu verstehen, die Freilichtbühne, der See im Dreiländereck, aber auch die gestalterische Freiheit bei der Festspielgründung im Jahr 1946 waren Inspirationsquellen. Das Orchesterwerk hat viel positive Resonanz gefunden.

Sein erstes Cellokonzert komponierte Marcus Nigsch im Auftrag der Wiener Symphoniker und dem 1812 gegründeten Wiener Musikverein. Das Werk ist dem ebenfalls aus Vorarlberg stammenden Cellisten Kian Soltani auf den Leib geschrieben. Die beiden Musiker kennen einander seit ihrer Studienzeit am Vorarlberger Landeskonservatorium bzw. am Musikgymnasium Feldkirch. Beide sind ausgewiesene Experten der Filmmusik und verstehen sich in ihrem künstlerischen Tun als Brückenbauer. Grenzen zwischen den Menschen, den Generationen, den Kulturen und auch den musikalischen Genres sollen überschritten und überwunden werden. Kian Soltani spielt auf dem Cello „London, ex Boccherini“ von Antonio Stradivari. Der sonore Klang des Cellos berühre ihn, betont Marcus Nigsch. Das Ziel sei, die individuellen musikalischen Spezialitäten des Solisten unter die Lupe zu nehmen. Das sind unter anderem eine faszinierende Spieltechnik in mehrstimmigen Passagen sowie das bewundernswerte rhythmische Gespür und die atemberaubende Intonationssicherheit in höchsten Lagen.

Pjotr Iljitsch Tschaikowski
Symphonie Nr. 5 e-Moll op. 64

Kaum ein anderer Komponist erlebte zu seinen Lebzeiten derart viel Ruhm und Anerkennung wie Pjotr I. Tschaikowski (1840–1893). Vor begeistertem Publikum in ganz Europa und in Amerika spielte man seine Werke, seine Musik galt als modern, ständig verlangte man nach ihm als Dirigenten. Tschaikowski war derjenige Komponist, der die russische Musik im Westen bekannt gemacht hat. In seinen Symphonien hat Tschaikowski gezeigt, wie nationales Kolorit mit der Idee der großen Form und des monumentalen Stils vereinbar ist. Dabei wurde seine Arbeit von krankhaften Selbstzweifeln, Depressionen und schöpferischen Krisen beeinträchtigt. Und er litt unter den gesellschaftlichen Normen der damaligen Zeit, die nicht mit seiner homosexuellen Veranlagung im Einklang standen.

Mit einundzwanzig Jahren hatte sich Tschaikowski gegen die berufliche Festlegung seiner Eltern gestemmt und den Staatsdienst gekündigt. Er verzichtete auf seine finanzielle Absicherung und schrieb sich ins St. Petersburger Konservatorium ein. Dort erhielt er Unterricht in Harmonielehre und im Kontrapunkt, überdies studierte er Komposition und Instrumentationstechnik beim Konservatoriumsgründer Anton Rubinstein. Das war eine große Ehre, obwohl sich Rubinstein zunächst nur wenig für Pjotr I. Tschaikowski interessierte.

Die Zukunftsaussichten des jungen Komponisten waren trist, denn er war weder Sänger noch Instrumentalist oder Dirigent. Doch er hatte großes Glück, denn Nikolaj Rubinstein, der Bruder von Anton Rubinstein, gründete, gerade als Tschaikowski seinen Abschluss machte, das Moskauer Konservatorium. Eigentlich war Alexander N. Serow dort als Theorielehrer engagiert, doch er konnte sich nicht dazu entschließen, von St. Petersburg nach Moskau zu übersiedeln. Tschaikowski packte die Gelegenheit beim Schopf und ließ sich im Frühjahr 1866 in Moskau nieder. Zu Beginn erlebte er eine glückliche und erfolgreiche Zeit, denn er erwies sich als ein begabter Lehrer. Doch bereits nach zwei Jahren machten sich erstmals jene nervösen Anfälle und Depressionen bemerkbar, unter denen er ein Leben lang leiden würde.

Mit siebenunddreißig Jahren ließ er sich auf eine Ehe ein, die nur wenige Wochen dauerte. Die Ehe wurde zwar geschieden, doch seine Ex-Frau intrigierte noch jahrelang und stürzte den Komponisten auch in ein finanzielles Desaster.

Durch seinen Freund und Förderer Nikolai Rubinstein lernte Tschaikowski die wohlhabende Witwe Nadeshda von Meck kennen. Die beiden vermieden über die ganzen Jahre ihrer Freundschaft einen persönlichen Kontakt, führten aber einen intensiven Briefwechsel, der heute wichtige Einblicke in die Denkart und die Arbeitsweise Tschaikowskis ermöglicht. Nadeshda von Meck förderte den Komponisten großzügig und gewährte ihm dreizehn Jahre lang ein Stipendium, das es ihm sogar erlaubte, seine Lehrtätigkeit am Konservatorium aufzugeben.

Ende der 1870er-Jahre erlebte Tschaikowski einen totalen physischen und psychischen Zusammenbruch. Nachdem er sich in der ländlichen Ruhe von Kamenka wieder erholt hatte, folgte eine Phase großer Schaffenskraft. Besonders wichtig war das Jahr 1880, in dem er „aus innerem Antrieb“, wie er notierte, seine Streicherserenade schuf. Kompositorisch folgte Pjotr I. Tschaikowski seinem großen Vorbild Michail Glinka. Er war daran interessiert, dessen Werke auch außerhalb Russlands bekannt zu machen. Den Dirigenten Julius Laube, der mit seinem Orchester 1888 in Russland gastierte, forderte Tschaikowski auf, möglichst viele Kompositionen von Glinka aufs Programm zu setzen. In seinem Unterricht am St. Petersburger Konservatorium stellte er Glinkas Kompositionstechnik gleichbedeutend neben die von Mozart. Ihn begeisterten die Einfachheit und Klarheit des Gedankens, die Geschmeidigkeit und Transparenz der Form. Wie Glinka war es Tschaikowski ein großes Anliegen, russische und westeuropäische musikalische Traditionen zu verbinden. So bewunderte er zum Beispiel die „Jota aragonesa“, die Glinka nach einem Spanienaufenthalt komponiert hatte.

Im Jahr 1888 unternahm Tschaikowski seine erste große Konzertreise nach Europa und trat in Leipzig, Hamburg, Berlin, Prag, Paris und London auf. Er begeisterte das Publikum und traf zahlreiche Komponistenkollegen, wie Brahms, Mahler, Dvorak, Fauré, Grieg oder Richard Strauss.

Aus künstlerischer Sicht befand er sich auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Er war als Dirigent international anerkannt und seine Kompositionen wurden sehr geschätzt. Trotzdem war er unglücklich und stellte sich existenzielle Fragen. „Schreiben für wen? Weiterschreiben? Lohnt kaum. Wahrscheinlich schließe ich damit für immer mein Tagebuch ab. Das Alter klopft an, vielleicht ist auch der Tod nicht mehr fern. Lohnt sich denn dann alles noch?“

Im selben Jahr zog sich Tschaikowski aufs Land zurück, wo er innerhalb von drei Monaten seine 5. Symphonie komponierte. Im Rahmen der Konzertreise, die ein Jahr später stattfand, brachte er das Werk selbst zur Uraufführung. Die Symphonie war ein Erfolg, und doch war Tschaikowski nicht überzeugt. „Nach jeder Aufführung empfinde ich immer stärker, dass dieses Werk mir misslungen ist.
Die Symphonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch“, urteilte er seine eigene Arbeit ab.

Zum Werk
Seine „Schicksalssymphonie“ wie Tschaikowski sie selbst nannte, bringt tiefe Verzweiflung und Ängste zum Ausdruck. Obwohl der musikalische Duktus vom Dunkel zum Licht geführt wird, sind zweifelnde Gefühle auch in den jubelnden Tuttipassagen stets präsent. Notizen bezeugen die Überlegungen des Komponisten. Schon im ersten Satz, der von den Klarinetten und tiefen Streichern eingeleitet wird, vermerkt der Komponist in der Partitur „vollständiges Sich-Beugen vor dem Schicksal oder was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung“.

Das Hauptthema des Eröffnungssatzes erklingt in allen vier Sätzen der Symphonie als „Schicksalsmotiv“. Es wird auf verschiedenste Arten abgewandelt. Zuerst erklingt es in Gestalt eines Trauermarsches. Diese Stimmung stellt alle folgenden Passagen in ein ambivalentes Licht. Überschwänglich wirken die Kantilenen im Andante cantabile. Eine übersteigerte Spannung geht vom Walzer im dritten Satz aus und die Verwandlung in einen Triumphmarsch im Finale überschattet die euphorische Stimmung.

Im zweiten Satz notiert Tschaikowski in der Partitur: „Soll ich mich dem Glauben in die Arme werfen?“ Wunderbar melodisch gefasst erklingen eine choralartige Melodie und ein Hornsolo, zu dem Tschaikowski das Sinnbild „Lichtstrahl“ setzt. Berühmt ist Tschaikowskis Vorliebe für den Walzer. Doch dieser Abschnitt endet plötzlich und unerwartet und fast grotesk erklingt das Schicksalsmotiv im Tanz.

Im Finale ist die Stimmung des Leitmotivs trügerisch aufgehellt. Der Dirigent Andris Nelson fasste die Atmosphäre mit den Worten zusammen: „Ich denke, es ist ein unerfülltes Finale. Es steht in E-Dur, trotzdem empfinde ich es so, dass der vierte Satz vom Anfang bis zur Apotheose der Tanz des Bösen ist. Das klingt jetzt sehr einfach, die Idee ist natürlich der Sieg des Schicksals, aber am Schluss gibt es einen Konflikt. Wir wissen nicht, wie Tschaikowski sich entscheidet. Soll er weiterkomponieren? Soll er sterben? Dieser letzte Satz reflektiert die Konflikte seines Lebens.“

FR, 21. März 2025

Stuttgarter Kammerorchester
Nil Venditti – Leitung
Sayaka Shoji – Violine

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2024/2025 können Sie hier digital ansehen.

Fazıl Say (*1970)
Chamber Symphony op. 62 (2015)
1. Introduction
2. Nocturne
3. Finale

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Konzert für Violine und Orchester Nr. 5 in A-Dur, KV 219
Allegro aperto
Adagio
Rondeau

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847)
Sinfonia X h-Moll für Streicher (1823)
Adagio – Allegro

Béla Bartók (1881 – 1945)
Divertimento für Streichorchester, Sz 113
1. Allegro non troppo
2. Molto adagio
3. Allegro assai

Fazıl Say
Chamber Symphony op. 62 (2015)

 

Beim Bodenseefestival 2015 konnte man den in Ankara geborenen Pianisten und Komponisten Fazıl Say rund um den Bodensee als leidenschaftlichen und durchaus eigenwilligen Vollblutmusiker erleben. Ob in Klaviersonaten von Mozart, die er mit wunderbarer Freiheit ausgestaltet, ob als Solist in Orchesterkonzerten, ob als Klavierpartner in der Kammermusik oder als Komponist: immer begibt sich Say voll und ganz hinein in die Musik, lässt sich von ihr davontragen zu schwingenden und jazzigen Improvisationen (von Mozarts „türkischem Marsch“ gibt es eine Jazz-Variante, bei der einem Hören und Sehen vergeht!) und ist zugleich eng verbunden mit seinen türkischen Wurzeln. Fazıl Say ist auch ein politisch engagierter Künstler, der sich zur Kulturpolitik seines Landes äußert und deswegen bekanntermaßen auch schon des Öfteren in Schwierigkeiten geriet. Indem er, der Atheist ist, Verszeilen des persischen Universalgelehrten und Dichters Omar Khayyam zitierte und via Twitter ironisch kommentierte, geriet er ins Visier der Religionswächter und erhielt 2013 eine Strafe über 10 Monate Haft auf Bewährung. Ausgebildet in seiner Heimat und in Deutschland ist Fazıl Say ein Brückenbauer zwischen Ost und West, der in das klassische Symphonieorchester türkische Instrumente oder die typischen Modi und Intervallschritte einfließen lässt. Zu seiner Kammersymphonie op. 62 schreibt er: „Die Chamber Symphony habe ich 2015 komponiert. Das zwanzigminütige Werk ist gänzlich von türkischer Musik inspiriert und thematisiert meine persönliche Auseinandersetzung mit den komplexen Geschehnissen in der heutigen Türkei. Diese versuche ich durch die rhythmischen und metrischen Eigenschaften der Komposition zu vermitteln. Die Taktart des ersten Satzes ist ein 7/8 “devr-i hindi”-Metrum, eine für traditionelle türkische Musik typische Taktart. Der Mittelteil des ersten Satzes ist deutlich langsamer, enthält Einflüsse der klassischen Palastmusik im hecaz makam-Stil und ruft nostalgische Gefühle ans „alte Istanbul“ wach. Schließlich wird der archaische 7/8-Rhythmus wieder aufgegriffen, mit dem der Satz schließlich endet. Mit dem ruhigen und leisen zweiten Satz wollte ich die Notwendigkeit von Romantik auch in unserer heutigen Zeit hervorheben. Der letzte Satz besteht aus einem sehr schnellen Tanz. Heute gibt es Istanbuls altes Roma-Viertel Sulukule nicht mehr; es beherbergte aber Orte des Tanzes und der Unterhaltung. Der letzte Satz der Chamber Symphony spiegelt die überschäumende Energie der türkischen Roma-Musik wider und soll im Stil der Musik des Balkans gespielt werden.“ Über dem rhythmischen Puls der Unterstimmen erleben wir das kraftvolle Unisono der höheren Streicher, die scharfen Akzente und Schleifer der orientalischen Musik. Im Lyrischen hat die Musik sinnliche Expressivität in atmenden und sprechenden Motiven, Glissandofiguren und andere Spieltechniken spiegeln die abwechslungsreichen Charaktere der Musik.

Wolfgang Amadeus Mozart
Konzert für Violine und Orchester Nr. 5 in A-Dur, KV 219

Wolfgang Amadeus Mozart hat sich nicht nur zahlreiche Klavierkonzerte der Wiener Jahre für seine eigenen Auftritte in die Hand komponiert, sondern einige Jahre früher bereits seine fünf Violinkonzerte. Sein Vater Leopold hatte ja eine berühmt gewordene Violinschule geschrieben und seinen auch auf der Violine hochbegabten Sohn selbst unterrichtet. Zur Zeit der Komposition im Jahre 1775 war der 19-jährige als Konzertmeister der fürsterzbischöflichen Hofkapelle in seiner Heimatstadt Salzburg angestellt, die fünf Konzerte geben einen Eindruck von Mozarts beachtlichen Fähigkeiten auf diesem Instrument wieder. Die Tonarten kommen der Geige sehr entgegen, und auch allgemein sind die Konzerte sehr „geigerisch“ in ihren Figurationen und Spielarten gehalten. Nicht so sehr das Virtuose stellte er darin heraus als vielmehr die Kunst der Gestaltung, wobei sich das Soloinstrument dem Orchester gegenüber als unabhängig und eigenständig vorstellt. Von besonderer Schönheit sind die langsamen Mittelsätze der jeweils dreisätzigen Violinkonzerte, die binnen weniger Wochen entstanden sind. Im A-Dur-Konzert KV 219 überrascht Mozart, indem er den Solisten mit einem kurzen Adagio-Abschnitt beginnen lässt, bevor er sich der „regulären“ Soloexposition zuwendet und das in Dreiklangsnoten aufsteigende Thema präsentiert. Spielerisch und scherzend wirkt das zweite Thema. Wieder ist das Adagio ausgesprochen liedhaft und gesanglich, ausgeschmückt mit empfindsamen „Seufzerfiguren“ angelegt. Höchst originell und launig ist der dritte Satz, der wie ein althergebrachtes, leicht zopfiges Menuett beginnt, schon bald aber mit fremden Tönen auf anderes hinweist. Denn im Mittelteil, einer Art „Trio“ dieses Menuetts, klingt jene „alla turca“-Musik, die Mozart auch später in seinem „Türkischen Marsch“ oder in der „Entführung aus dem Serail“ einfließen lässt: ruppige Kontraste, chromatische Gänge und vor allem die Imitation der mit der Rute geschlagenen großen Trommel, wenn die Bässe „col legno“, also mit dem Holz des Bogens auf die Saiten schlagen, bringen exotisches Kolorit. So überspannt das Konzertprogramm des Stuttgarter Kammerorchesters mühelos 240 Jahre Musikgeschichte.

Felix Mendelssohn Bartholdy
Sinfonia X h-Moll für Streicher (1823)

„Mendelssohn ist der erste Musiker der Gegenwart, der Mozart des neunzehnten Jahrhunderts“, schrieb Robert Schumann bewundernd über den ein Jahr älteren Komponisten, den er in Leipzig kennen gelernt hatte. Und wirklich muss Felix Mendelssohn Bartholdy, der aus einer angesehenen Berliner Bankiersfamilie stammte (sein Großvater war der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn), ein „Liebling der Götter“ gewesen sein. Hochbegabt, bestens ausgebildet in der Musik ebenso wie in der Literatur und der Malerei, gab er im Alter von neun Jahren sein erstes Konzert und spielte im Alter von 12 Jahren vor Goethe. Die Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ und das Oktett für Streicher machten ihn 1827, mit 18 Jahren, auch als Komponist bekannt. Ausgedehnte Reisen nach Italien, England, Frankreich und in die Schweiz dienten seiner weiteren Ausbildung, viele Eindrücke sind auch in seine Kompositionen eingeflossen. In Deutschland und England wurde er mit der „Hebriden-Ouvertüre“, der „Italienischen“ und der „Schottischen“ Symphonie zu einem der am höchsten geschätzten Komponisten seiner Zeit. 1833 wurde er Musikdirektor in Düsseldorf, zwei Jahre später folgte die Berufung nach Leipzig als Leiter der Gewandhauskonzerte. 1843 wurde hier auf sein Betreiben hin das Konservatorium gegründet. Seine Tätigkeit als Dirigent, Komponist und Lehrer führte ihn oft an die Grenzen seiner Kraft. Felix Mendelssohn, der als Kind gemeinsam mit seinen drei Geschwistern getauft worden war (seither kam der zweite Familienname Bartholdy dazu), hatte auch eine enge Beziehung zur geistlichen Musik: Mit 20 Jahren setzte er sich für die Wiederaufführung der „Matthäuspassion“ von J. S. Bach ein, selbst vertonte er zahlreiche Psalmtexte und komponierte zwei häufig aufgeführte Oratorien „Paulus“ (1836) und „Elias“ (1846). Wenige Monate nach dem Tod seiner geliebten, ebenfalls hochmusikalischen Schwester Fanny starb Felix Mendelssohn im Alter von nur 38 Jahren.

Zu Felix Mendelssohns Lehrmeistern gehörte bis zu seinem 17. Lebensjahr Carl Friedrich Zelter, der Freund von Johann Wolfgang von Goethe, der den Jungen mit dem hellwachen Geist an die Werke von Händel, Hasse, Johann Sebastian Bach und vor allem an die von Carl Philipp Emanuel Bach heranführte (zu seiner Zeit war er mit seinem musikalischen „Sturm und Drang“-Stil bekannter als sein Vater!). Aus dieser Zeit stammen zwölf Streichersymphonien, in denen der junge Mendelssohn die Kunst des kontrapunktischen Satzes und des musikalischen Ausdrucks studierte. Die zehnte dieser kurzen Symphonien steht in h-Moll – einer Tonart, die ja eng mit den Werken J.S. Bachs verbunden ist: Einer dunklen, dicht gefügten langsamen Einleitung folgt ein heller gestimmtes Allegro, in dem manche die feingliedrige Beweglichkeit der Musik zu Shakespeares Sommernachtstraum heraushören. Kurze Zeit nach der Vollendung der Streichersymphonien erhielt der junge Künstler an seinem 15. Geburtstag gleichsam seinen Ritterschlag durch Zelter: „Mein lieber Sohn, von heut ab bist du kein Junge mehr, von heute an bist du Gesell. Ich mache dich zum Gesellen im Namen Mozarts, im Namen Haydns und im Namen des alten Bach. Nun arbeite auf den Meister los.“ Felix, der Glückliche, ließ sich inspirieren und überflügelte seinen Lehrer um Längen.

Béla Bartók
Divertimento für Streichorchester, Sz 113

Im zarten Alter von fünf Jahren erhielt Béla Bartók den ersten Klavierunterricht von seiner Mutter, auch Kompositionen entstanden bereits früh. Von 1899 bis 1904 studierte er an der Budapester Musikakademie Komposition und Klavier, dabei führte er als Konzertpianist oft eigene Werke auf. Später unterrichtete er selbst an dieser Hochschule. In großer Verbundenheit zu seiner ungarischen Heimat begann er, die echten Volkslieder der Bauern zu sammeln und aufzuzeichnen und dehnte seine Reisen auch in andere südosteuropäische Länder aus. Volksliedmelodien und Rhythmen sind in viele seiner Werke eingeflossen und verbinden sich mit den neuen Kompositionstechniken seiner Zeit zu einem ganz persönlichen Stil. Bartók hinterließ viele Werke für Klavier und schuf die mehrbändige Klavierschule „Mikrokosmos“, die auch heute noch viele Schüler begleitet. Von großer Bedeutung sind auch seine sechs Streichquartette, das Konzert für Orchester oder die Oper „Herzog Blaubarts Burg“. Im Jahre 1940 zwangen ihn die politischen Umstände in Ungarn zur Auswanderung nach Amerika. Hier entstanden noch das dritte Klavierkonzert und die dem Geiger Yehudi Menuhin gewidmete Sonate für Violine solo, die Bartóks letztes vollendetes Werk ist. Der Komponist starb im amerikanischen Exil in New York an Leukämie. Er ist nicht nur der bedeutendste ungarische Komponist, sondern im Farbenreichtum seiner Werke auch wegweisend für die Musik des 20. Jahrhunderts, obwohl manche seiner Stücke von vielen als sehr aggressiv und schwierig empfunden werden. Wie andere Komponisten und Künstler seiner Zeit kam auch Béla Bartók in den Genuss von Kompositionsaufträgen des in Basel wirkenden Dirigenten und Mäzens Paul Sacher (1906 – 1999). Nach der erfolgreichen Uraufführung der „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ am 21. Januar 1937 unter der Leitung von Paul Sacher entstand außerdem die ungewöhnliche Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug, die Bartók gemeinsam mit seiner Frau Ditta Pasztory am 16. Januar 1938 in Basel zur Uraufführung brachte. Als drittes Werk gab Sacher, der schon zu seinen Studienzeiten das Basler Kammerorchester gegründet hatte, das „Divertimento für Streichorchester“ in Auftrag und lud Bartók in ein von ihm gemietetes Chalet im Berner Oberland ein. Paul Sacher charakterisiert Bartók mit folgenden Worten: „Wer Béla Bartók begegnete, in Gedanken an die rhythmische Urkraft seiner Werke, war von der schmalen zarten Gestalt überrascht. Er hatte die äußere Erscheinung eines feinnervigen Gelehrten. Der von fanatischem Willen und unbarmherziger Strenge besessene und von einem glühenden Herzen getriebene Mensch wirkte unnahbar und war von zurückhaltender Höflichkeit. Sein Wesen atmete Licht und Helligkeit. Seine Augen leuchteten mit herrlichem Feuer. In den Strahlen seines forschenden Blickes hatte nichts Unwahres oder Unklares Bestand. Wenn etwa beim Musizieren eine besonders gewagte und schwierige Stelle gut gelang, lachte er knabenhaft übermütig, und wenn er sich über das glückliche Vollbringen einer Aufgabe freute, strahlte er förmlich. Das bedeutete mehr als unverbindliche Komplimente, die ich aus seinem Munde nie vernommen habe.“ Und Béla Bartók schrieb aus der Schweizer Sommerfrische des Augusts 1939 an seinen Sohn: „Irgendwie fühle ich mich wie ein Musiker vergangener Zeiten, der von seinem Mäzen zu Gast geladen ist“.

Das Divertimento sollte das letzte in Europa komponierte Werk Bartóks werden, innerhalb von nur zwei Wochen, zwischen dem 2. und dem 17. August 1939, brachte der Komponist das intensive Werk zu Papier. Zwei Wochen später brach der zweite Weltkrieg aus. Hans Ulrich Mielsch schreibt in seinem Buch „Die Schweizer Jahre berühmter Komponisten“: „Einiges dieser Bedrohlichkeit scheint trotz der Idyllik der Umgebung in die Atmosphäre des langsamen Satzes eingegangen zu sein und wächst sich dort zu einer alptraumartigen Vision aus. Die taghellen Ecksätze dagegen sprühen vor Freude und Leichtigkeit der Erfindung. Im ersten Satz stehen geschmeidige Eleganz und auftrumpfend Tänzerisches nebeneinander, sehnsüchtige und parodistische Episoden unterbrechen die rhythmischen Energien des dritten Satzes.“ Doch auch im ersten Satz mit seinen bohrenden, pulsierenden Rhythmen, den Anklängen an den Wiener Walzer im Seitenthema und eindringlichen kurzen Unisono-Passagen scheinen wir einem unerbittlichen Tanz am Abgrund beizuwohnen. Dazu gibt es immer wieder einen aparten Wechsel von solistisch eingesetzten Stimmführern und vollem Orchester. Der intensive Klagegesang im langsamen Satz wird auch von den typischen kurz-lang-Akzenten, die der ungarischen Sprache so eigen sind, geprägt. Die lastende Schwere, die über diesem Satz liegt, wird von der treibenden Energie des Finalsatzes und seinen wirbelnden Violinsoli aufgehoben.

Die Uraufführung des Divertimentos fand unter der Leitung von Paul Sacher, doch ohne den Komponisten am 11. Juni 1940 in Basel statt.

FR, 25. April 2025

Prague Royal Philharmonic Orchestra
Heiko Mathias Förster – Leitung
László Fenyö – Violoncello

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2024/2025 können Sie hier digital ansehen.

Antonín Dvořák (1841 – 1904)
Konzert für Violoncello und Orchester in h-Moll, op. 104

Leoš Janáček (1854 – 1928)
Balada Blanická

Bedřich Smetana (1824 – 1884)
„Die Moldau“ aus dem Zyklus „Mein Vaterland“

Antonín Dvořák (1841 – 1904)
Scherzo Capriccioso, op. 66

 

Antonín Dvořák

Am 8.9.1841 in einem Dorf als Sohn eines Metzgers und Gastwirts geboren, arbeitete Antonín Dvořák zunächst im väterlichen Betrieb, bevor er seinen musikalischen Neigungen nachgehen und die Prager Orgelschule besuchen konnte. In den 1860er Jahren trat er erstmals mit eigenen Kompositionen in Erscheinung, doch erst die Slawischen Rhapsodien, die Klänge aus Mähren op. 29 und die Slawischen Tänze aus den Jahren 1876–78 machten ihn bekannt und hielten Einzug in die europäischen Konzertsäle. Ein bekannter Kritiker seiner Zeit betonte die „himmlische Natürlichkeit“, die durch die „Slawischen Tänze“ flutet und meinte: „Ich denke es mir wonnig, wenn wieder einmal ein Musiker käme, über den man sich ebenso wenig zu streiten brauchte wie über den Frühling“ – in Dvořák hatte er ihn gefunden.

Nach großen Erfolgen in Europa mit den „Slawischen Tänzen“ und vor allem im oratorienbegeisterten England (mit dem „Stabat mater“) wurde der Komponist für einige Zeit Direktor des Prager Konservatoriums und ging dann in entsprechender Funktion in den Jahren 1892-95 nach New York. Weltruhm verschafften ihm die berühmte 9. Symphonie „Aus der Neuen Welt“ op. 95 und das „Amerikanische Streichquartett“ op. 96, die bis heute die am meisten im Konzertsaal gespielten Werke geblieben sind. Auch das Konzert für Violoncello und Orchester in h-Moll op. 104 hängt mit Amerika zusammen: es ist das letzte Werk, das dort entstanden ist, spiegelt jedoch in zahlreichen Anklängen die überwältigende Sehnsucht des Komponisten nach seiner Heimat. Nach drei Jahren in New York fühlte er sich dort nicht mehr wohl, viele Briefe erzählen von Heimweh, und nach einer offiziell als Sommerurlaub geplanten Heimreise kehrte Dvořák nicht mehr in die USA zurück. Im Cellokonzert fällt gleich zu Beginn im Orchester die starke Beteiligung der Holz- und Blechbläser auf, sie tragen das Hauptthema vor und machen den Klang rund und voll. Kraftvoll setzt der Solist mit weiträumigen Passagen ein, nimmt sich dann zurück und stimmt das lyrische Seitenthema an. Von außergewöhnlicher Ausdruckstiefe, die über die typische „slawische Melancholie“ weit hinausgeht, ist der langsame Satz. In ihm gedenkt Dvořák mit dem Zitat eines eigenen Liedes „Lasst mich allein in meinen Träumen gehen“ seiner Jugendliebe und späteren Schwägerin Josefine Kounicová, die zum Zeitpunkt der Komposition schwer erkrankt und schließlich gestorben war. Es scheint ein verzweifeltes, leidenschaftliches Ringen widerzuspiegeln. Josefine zu Ehren veränderte der Komponist auch den Schluss des Konzerts: An Stelle der üblichen virtuosen Solokadenz lässt er nochmals das Lied anklingen, das eine wichtige Rolle in der Beziehung der beiden gespielt hatte, verbindet es in einem wehmütigen Epilog mit anderen Episoden und Themen des Konzerts, bevor sich das Soloinstrument zu einer mitreißenden Schlussstretta aufschwingt.

Das Scherzo capriccioso von Antonín Dvořák, komponiert im Jahr 1883 und uraufgeführt unter Adolf Čech, markiert eine Phase, in der der Komponist einen dramatischeren und dunkleren Stil erkundete. Dies steht im Kontrast zu seiner früheren „slawischen Periode“, die für ihre leichte und volkstümliche Natur bekannt war. Das Werk zeigt eine komplexe Struktur mit durchdachten kontrapunktischen Elementen und ungewöhnlichen Orchesterfarben, darunter markante Verwendungen von Englischhorn und Bassklarinette. Es gehört zu einer Gruppe von Werken aus dieser Zeit, darunter das dritte Klaviertrio, die Hussiten-Ouvertüre, die Ballade in d-Moll und die siebte Sinfonie, die alle Dvořáks künstlerische Entwicklung widerspiegeln.

Leoš Janáček

Leoš Janáček wurde 1854 als neuntes von vierzehn Kindern in der damals zum Kaisertum Österreich gehörenden Markgrafschaft Mähren geboren. Sein Leben und Schaffen waren von einer Vielzahl von Einflüssen geprägt, darunter persönliche Verluste, intensive Beobachtungen der Natur und eine tiefe Verwurzelung in der tschechischen Musiktradition. Janáčeks Einfluss auf die Musikliteratur ist bedeutend und weitreichend. Durch seine innovativen musikalischen Ansätze und seine intensive Auseinandersetzung mit der menschlichen Sprache hat er neue Wege in der musikalischen Komposition erschlossen. Sein Stil, oft als „Sprachmelodie“ beschrieben, brach mit den traditionellen Konventionen der Opernkomposition und führte zu einer Erneuerung des Musiktheaters.

Janáčeks Meisterwerke wie „Jenůfa“, „Die Sache Makropulos“ und „Katja Kabanowa“ zeichnen sich durch ihre expressive Kraft, ihre emotionalen Tiefen und ihre intensive Verbindung zur menschlichen Erfahrung aus. Seine Musik ist geprägt von einer Vielzahl von Emotionen und Facetten des menschlichen Lebens, von Liebe und Leidenschaft bis hin zu Verlust und Sehnsucht. Janáčeks Werke haben das Musiktheater nachhaltig beeinflusst und sind bis heute fester Bestandteil des Opernrepertoires auf der ganzen Welt. Seine einzigartige musikalische Sprache und sein künstlerisches Erbe haben zahlreiche Komponisten nach ihm inspiriert und beeinflusst.

Leos Janáčeks „Balada Blanická“ ist ein selten aufgeführtes, aber aussagekräftiges Orchesterwerk, das eine reiche musikalische Darstellung der tschechischen Legende um den Berg Blaník beinhaltet. Das Werk charakterisiert sich durch eine melodische Dichte und eine strukturelle Komplexität, die typisch für Janáčeks späte Phase sind. Die „Balada Blanická“, komponiert im Jahre 1920, zeichnet sich durch ihren dramatischen Aufbau und die Verwendung von Motiven aus, die sowohl mythologische Aspekte als auch tief verwurzelte nationale Identität symbolisieren.

Thematisch greift Janáček auf die Erzählung zurück, in der die Ritter von Blaník warten, um in der Stunde der größten Not ihres Landes hervorzutreten. Diese narrative Grundlage verleiht dem Werk eine pathetische Tiefe und eine klangliche Dramatik, die typisch für die Musik Janáčeks ist, die stets eine tiefgründige emotionale und narrative Schicht enthält. In der „Balada Blanická“ manifestiert sich dies in einer Musiksprache, die sowohl idiomatisch als auch innovativ ist und die tschechische Seele in Tönen ausdrückt.

Zusammengefasst ist „Balada Blanická“ ein beeindruckendes Beispiel für Janáčeks Fähigkeit, kulturelle Erzählungen in ein eindrucksvolles symphonisches Gewand zu kleiden, das sowohl die nationalen Hoffnungen als auch die tiefe Verbundenheit mit der tschechischen Kultur klanglich widerspiegelt.

Sein Engagement für die tschechische Kultur und sein Beitrag zur Musikgeschichte machen ihn zu einem der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Seine Werke werden weltweit aufgeführt und geschätzt, und sein Einfluss auf die Musik ist unbestreitbar.

Friedrich (Bedřich) Smetana

Am 2. März 2024 feierte die Musikwelt den 200. Geburtstag von Friedrich (Bedřich) Smetana, der als Wegbereiter der tschechischen Musikkultur gilt, bei uns aber in erster Linie als Schöpfer der Oper „Die verkaufte Braut“ und der Tondichtung „Die Moldau“ bekannt ist. Im heutigen Konzert erklingen neben der schwungvollen Opern-Ouvertüre und der „Moldau“ immerhin zwei weitere Teile aus dem Zyklus „Mein Vaterland“. Smetana entstammte der großbürgerlichen Familie eines Bierbrauers, wurde früh musikalisch gefördert und wandte sich zunächst der Geige und dem Klavier zu. Nichts weniger als „ein Liszt in der Technik und ein Mozart im Komponieren“ wollte er werden, Franz Liszt wurde auch einer seiner großen Förderer. Nachdem er in Prag eine eigene Musikschule gegründet hatte, wirkte er von 1856 bis 1861 als Pianist und Dirigent in Göteborg, wo er auch die ersten Versuche mit sinfonischer Programmmusik unternahm. Es entstanden zwei Tondichtungen mit literarischem Sujet, nämlich „Richard III.“ und „Hakon Jarl“, die sich auch formal an die Tondichtungen Franz Liszts anlehnten. Bereits in der Tondichtung „Wallensteins Lager“ op. 14 fallen jedoch nationale Färbungen mit Polka- und Marsch-Anklängen auf. Zurück in der Heimat geriet Smetana in die Kämpfe zwischen konservativen „Alt-Tschechen“ und fortschrittlichen „Jung-Tschechen“, zu denen er sich als Anhänger von Liszt und Wagner zählte. 1866 wurde er zum Dirigenten des wenige Jahre zuvor eröffneten Nationaltheaters ernannt. Trotz seiner großen Erfolge als Opernkomponist und als Dirigent der philharmonischen Konzerte musste Smetana als Wagneranhänger zahlreiche Angriffe und Intrigen wegen seiner „Ausländerei“ über sich ergehen lassen, die letztlich auch seine Gesundheit schädigten. Im Sommer 1874 begannen Hör- und Gleichgewichtsstörungen (der hohe Ton, der ihn plötzlich peinigte, ist in das Finale des ersten Streichquartetts „Aus meinem Leben“ eingegangen), sodass er die Leitung des Theaters abgeben musste. Wenige Wochen später ertaubte er während der Arbeit an der „Moldau“ von einem Tag auf den anderen. In den ihm noch verbleibenden 10 Jahren, die von Krankheit und Heilungsversuchen geprägt waren, schuf Smetana vier weitere Opern, die beiden Streichquartette und die restlichen Teile des Zyklus’ „Mein Vaterland“. Am 12. Mai 1884 starb der Schöpfer der nationalen tschechischen Musik in geistiger Umnachtung in Prag.

Mit seinem sechsteiligen Zyklus „Mein Vaterland“ („Ma vlast“) schuf Smetana ein Werk, dessen Inhalt die Sagen, Märchen und Landschaftsszenarien Böhmens in einzigartiger Weise widerspiegelt. Pläne für einen Zyklus nationaler Tondichtungen entstanden im Zusammenhang mit der Arbeit an der Oper „Libuše“ (1872), einer Oper, die das tschechische Volk und Land verherrlicht. „Ma Vlast“ führt das Thema der Oper also auf anderer Ebene fort. Erste Ideen, den Lauf der Moldau musikalisch nachzubilden, reichen vermutlich in das Jahr 1867 zurück, als Smetana die beiden Quellen des Flusses im Böhmerwald besuchte. Drei Jahre später vermerkt der Komponist in seinem Tagebuch einen Ausflug zu den St.-Johann-Stromschnellen. Schließlich entstand 1874, zeitgleich mit „Vyšehrad“, dem ersten Teil des Zyklus’, die Tondichtung Vltava – Die Moldau, die den Verlauf des Flusses von den Quellen bis zur Mündung in die Elbe nachzeichnet. Smetana führt uns nicht nur die Bewegung des Wassers an sich vor, sondern hält auch Begebenheiten am Rande des Flusslaufs fest. Neben Smetanas eigener Beschreibung gibt vor allem der Text von Vaclav Zeleny einen stimmungsvollen Einblick in die Komposition, deren Abschnitte deutlich voneinander unterschieden sind: „Zwei Quellbächlein, das eine warm und lebhaft, das andere kühl und ernst, entspringen im Schatten des Böhmerwaldes; sie plätschern munter im Gestein und glitzern in der Sonne. Ihre Wellen vereinigen sich, der Waldbach wird zum Fluss. Auf seiner Wanderung durch Böhmen nimmt er mehr an Größe zu, schlingt sich, geheimnisvoll rauschend, als Moldau durch dunkle Kiefernwälder, aus denen das muntere Treiben einer Jagd hallt, durchfließt liebliche Auen, saftige Fluren und fruchtbare Ebenen. An ihren Ufern feiert das Landvolk mit fröhlichen Weisen und heimischem Tanz eine Dorfhochzeit. Die Nacht senkt sich zur Erde, der Hochzeitsjubel verstummt, ge-heimnisvolle Stille liegt über dem Land. Bei fahlem Mondschein beleben nun Nymphen und Nixen die Ufer und schwingen über den silberglänzenden Wellen ihren Reigen, während als Zeugen vergangener Herrlichkeit ernst und stumm Burgen und Schlösser auf den Hängen ragen als Mahnmale vergangener Größe und Glorie. Von Felsen eingeengt, stürzen mit donnerndem Getöse schäumend die Wasser durchs Tal und bilden tückische Wirbel. Nach den Sankt-Johannes-Stromschnellen, auf deren Klippen die sich wild aufbäumenden Fluten zu Gischt zerstäuben, fließt die Moldau in majestätischer Ruhe gegen Prag, wo sie der altehrwürdige Vyšehrad, von hohem Felsen niederblickend, grüßt. In mächtiger Breite rauscht der ewige Strom vorüber, bis er in unabsehbare Fernen entschwindet.“

Die acht Abschnitte, die sich aus diesem literarischen Programm ergeben, sind auch mit Zwischentiteln in der Partitur verzeichnet:

  1. Die erste Quelle der Moldau: aufsteigende Flöten – die zweite Quelle: absteigende Klarinettenfiguren
  2. Moldau-Thema, der Fluss wird breiter, das Orchester gewinnt an Kraft
  3. Durch den Wald schallen die Hörner und Trompeten einer Jagdgesellschaft
  4. Am Ufer findet eine Bauernhochzeit statt: Takt- und Tonartwechsel, Polkarhythmus
  5. Mondschein, Nymphenreigen: Hohe, flirrende Streicherklänge, dazu die Flötenfiguren des fließenden Wassers und Klarinetten wie Vogelrufe; Steigerung, Übergang in
  6. Moldau-Thema mit vollem Orchester
  7. St. Johannes- Stromschnellen, Gefahr, Auflösung, Unruhe
  8. Coda: die Moldau strömt breit dahin.

Beschleunigung, großes Orchester, choralartiges Motiv aus Vyšehrad, jubelnde Steigerung, Zusammenfassung, schließlich entschwindet der Fluss in der Ferne.

Durch die Verknüpfung der Motive und die formale Gestaltung schafft Smetana eine kompositorische Einheit, die immer wieder bezaubert. Die Uraufführung am 4. April 1875 war für den so tragisch plötzlich ertaubten Komponisten ein Triumph sondergleichen. Man feierte, wieder nach den Worten von Vaclav V. Zeleny, „die größte dichterische Schöpfung Smetanas, die stolzeste Huldigung, die je ein kunstschöpferischer Geist seinem Publikum dargebracht hat.“

Mit Šárka ist der dritte Teil des Zyklus’ „Ma Vlast“ überschrieben, der eine tschechische „Variante“ des Penthesilea-Stoffes in Töne setzt. Das beigefügte literarische Programm erhellt wiederum die aufgewühlte Stimmung der Komposition, in der Smetana nicht nur die Verzweiflung der Titelheldin, sondern auch seine eigene Verzweiflung (über den Verfall seiner Gesundheit) widerzuspiegeln scheint: „In dieser Komposition ist nicht die Gegend festgehalten, sondern die Handlung, die Sage von der Maid Šárka, die in leidenschaftlichem Zorn über die Untreue des Geliebten dem ganzen männlichen Geschlecht bittere Rache schwört. Aus der Ferne dringt Waffenlärm. Ctirad ist mit seinen Knappen im Anmarsch, um die streitbaren Mädchen zu bezwingen und zu bestrafen. Er vernimmt schon von weitem das (nur listig vorgetäuschte) Klagen einer Maid, erblickt Šárka an einen Baum gebunden und ist von ihrer Schönheit bezaubert. Er entbrennt in heißer Leidenschaft zu ihr und befreit sie. Šárka versetzt mit einem bereitgehaltenen Trunke Ctirad und seine Knappen in Rausch und zuletzt in tiefen Schlaf. Auf ein gegebenes Hornsignal, das die Gefährtinnen Šárkas in der Ferne erwidern, stürzen diese aus dem Wald und richten ein Blutbad an. Ein schauerliches Gemetzel, blindes Wüten der ihre Rache stillenden Šárka beschließt die Dichtung.“

Dieser heldischen Dramatik setzt Smetana mit „Aus Böhmens Hain und Flur“ eine versöhnliche, melodisch fließende, von Volkstänzen und Liedern geprägte Naturstudie entgegen: „Dieses symphonische Gedicht malt in weiten Zügen die Gedanken und Gefühle, die uns beim Anblick der böhmischen Landschaft erfassen. Aus dem weiten Umkreis dringt inniger Gesang zu unseren Ohren, alle Haine und die ganze blühende Flur singen ihre Weisen, fröhliche und melancholische. Sie alle kommen zu Worte, die tiefen, dunklen Wälder – in den Hörnern – und die sonnigen, fruchtbaren Tiefebenen der Elbe und andere Teile des reichen, schönen Landes Böhmen.“ So nehmen uns die Musikerinnen und Musiker aus Prag mit auf eine klingende Reise in ihre Heimat.

 

DI, 13. Mai 2025

City of Birmingham Symphony Orchestra
Kazuki Yamada – Leitung
Fazıl Say – Klavier

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2024/2025 können Sie hier digital ansehen.

Hector Berlioz (1803 – 1869)
Le carnaval romain (Römischer Karneval),
Charakteristische Ouvertüre, op. 9 H 95
Allegro assai con fuoco
Andante sostenuto
Allegro vivace

Maurice Ravel (1875 – 1937)
Konzert für Klavier und Orchester G-Dur
Allegramente
Adagio assai
Presto

Leonard Bernstein (1918 – 1990)
Sinfonische Tänze aus „West Side Story“, 1960
1 Prologue. Allegro moderato
2 Somewhere. Adagio
3 Scherzo. Vivace e leggiero
4 Mambo. Meno presto
5 Cha-cha. Andante con grazia
6 Meeting Scene. Meno mosso
7 Cool – Fuge. Allegretto
8 Rumble. Molto allegro
9 Finale. Adagio

Maurice Ravel (1875 – 1937)
La Valse. Poème chorégraphique

 

Dieses Meisterkonzert führt mit Kompositionen, die die Musikgeschichte geprägt haben, in fantasiereiche musikalische Welten. Leonard Bernstein, Hector Berlioz und Maurice Ravel waren alle auf ihre Weise herausragende Meister der Instrumentationskunst. So eröffnen alle Kompositionen plastisch vertonte Szenerien und führen musikalisch bildhaft in dramatisch erfüllte Städte und Räume: zuerst auf ein turbulentes Straßenfest in Rom, dann in ein musikalisch funkelndes Spiel mit Masken aus Volksmusik und Jazz, später zu Bandenkriegen und einem Liebespaar nach New York und schließlich in einen fantastisch glänzenden Tanzsaal.

Hector Berlioz
Le carnaval romain

Hector Berlioz (1803–1869) war sechsundzwanzig Jahre alt, hatte eine schwierige Kindheit hinter sich und wusste genau, was er wollte. Gegen seinen Willen musste er Medizin studieren. Nur kurze Zeit hatte er eine öffentliche Schule besucht, weil sein Vater es vorgezogen hatte, ihn selbst zu unterrichten. Gelegentlich kam ein Privatlehrer ins Haus. Diese Art der Sozialisation empfand Hector Berlioz selbst als Nachteil, weil sie ihn „von den Realitäten des Lebens“ abgeschirmt habe. Nach dramatischen Auseinandersetzungen mit den Eltern wurde dem jungen Künstler die Unterstützung entzogen. Umso mehr wusste Hector Berlioz, wo seine Prioritäten lagen und er agierte willensstark und selbstbewusst. Erst nach vielen Jahren kam es zu einer Aussöhnung mit den Eltern.

Nach dem Abbruch des Medizinstudiums studierte Hector Berlioz am Pariser Konservatorium Komposition bei Jean François Le Sueur und Anton Reicha. Einige Male bemühte er sich um den renommierten Großen Rompreis, der ihm schließlich im Jahr 1830 für seine Kantate „La dernière nuit de Sardanapale“ zuerkannt wurde. Damit verbunden war ein Studienaufenthalt in Italien.

Lange Zeit fand Berlioz in Frankreich keine Anerkennung. Doch bei Konzertreisen durch Europa wurden seine Qualitäten erkannt. Besonders Franz Liszt, Richard Strauss und Richard Wagner setzten ihre kompositorischen Arbeiten bei Hector Berlioz an und führten die von ihm in den 1820-er Jahren eingeführten Neuerungen und die Programmmusik weiter. Schließlich reiften die kompositorischen Ideen zu Tondichtungen und Opern aus. Als Hector Berlioz im Jahr 1869 in Paris starb, hinterließ er neben seinen Kompositionen auch das Buch zur Instrumentationslehre „Traité d’instrumentation et d’orchestration modernes“ (1844), eines der wichtigsten theoretischen Musikwerke überhaupt.

Zum Werk
Der Romaufenthalt Anfang der 1830-er Jahr war für Hector Berlioz eine sehr prägende Zeit. Ausflüge in die italienische Landschaft beflügelten seine Fantasie. Auf Erlebnisse in der Stadt und Einblicke in die italienische Kultur geht die Ouvertüre „Le carnaval romain“ (Der römische Karneval) zurück. Die Komposition trägt den Untertitel „Ouverture caractéristique“ (Charakteristische Ouvertüre).

Wie zahlreiche seiner Komponistenkollegen „verwertete“ auch Hector Berlioz einige seiner Werke öfter. So bezog er das musikalische Material für die Ouvertüre aus seiner 1838 entstandenen, jedoch wenig erfolgreichen, Oper „Benvenuto Cellini“.

Der „Römische Karneval“ ist eine sinfonische Dichtung und beruht auf zwei Szenen aus der Oper. Schon bei der Uraufführung unter der Leitung des Komponisten fand das Werk begeisterten Anklang.

Mit seiner einzigartigen Instrumentationskunst setzte Berlioz musikalisch einen Karnevalszug in Rom in Szene. Die stürmische Einleitung wirkt, als würde ein Vorhang gehoben. Danach erklingt im Englischhorn eine lyrische Melodie, die das Liebespaar Teresa und Cellini aus der Oper versinnbildlicht. Das Finale illustriert die ausgelassene Stimmung der tanzenden Menschen beim Karnevalszug in Rom. Berlioz vertonte darin den aus dem 14. Jahrhundert stammenden Springtanz Saltarello. Der Tanz ist im Dreiertakt notiert, ständig wird das Tempo gesteigert und mit einem Tamburin die leidenschaftliche Stimmung angeheizt. Der Saltarello galt als „römischer Nationaltanz“ und wurde von vielen Komponisten sowie bildenden Künstlern als Sujet aufgegriffen. Die Instrumentationskunst von Hector Berlioz kommt auch in dieser Ouvertüre zur Geltung, denn mit der spezifischen Klangfarbgebung erzeugt der Komponist eine mitreißend lebendige Szenerie, so als zöge der Karnevalszug von der Ferne an der Betrachterin und dem Betrachter vorbei.

Maurice Ravel
Konzert für Klavier und Orchester, G-Dur, M 83

Maurice Ravel (1875–1937) wuchs in der südfranzösisch-baskischen Kleinstadt Ciboure auf. Mit vierzehn Jahren trat er ins Conservatoire in Paris ein, wo er in der Kompositionsklasse von Gabriel Fauré unterrichtet wurde. Großen Einfluss übten die Komponisten Emmanuel Chabrier und Eric Satie auf den jungen Studenten aus.

Aus Ravels Werken spricht ein tiefes Unbehagen gegenüber der Kultur, in die er hineingeboren wurde. Deshalb führte ihn seine kompositorische Emigration weg von allem, was ihm nahestand. Wohl fühlte er sich in den Volksmusikklängen ländlicher Regionen, in der Fantasiewelt von Blumen und Vögeln, in den Sujets aus China, Madagaskar, Spanien und Griechenland und in der Welt der Märchen. Ravel liebte auch das Spiel mit Masken, die fast ausschließlich aus vorromantischen Epochen und fremden Kulturen stammten. Auch Phrasen aus der Jazz-/Unterhaltungsmusik bezog er in seine Kompositionen mit ein.

Ravel war ein Meister der Verwandlung und der Orchestrierung. Auf der Suche nach neuen musikalischen Wegen entwickelte er seine farbenreichen Klangmalereien, seine entfesselte Rhythmik und seine glitzernden Instrumentationstechniken.

Bereits 1910 hatte sich Ravel vorgenommen, ein Klavierkonzert zu schreiben, doch es dauerte zweiundzwanzig Jahre, bis er sich tatsächlich an die Arbeit machte. Musikalisch war es als Referenz an Mozart gedacht. „Aufgelockert und brillant“ sollte es laut eigener Aussage sein und „nicht auf Tiefe und dramatische Effekte“ abzielen. Und weiter: „Ich hatte eigentlich die Absicht, dieses Konzert mit ‚Divertissement‘ zu betiteln. Dann aber meinte ich, dafür liege keine Notwendigkeit vor, weil eben der Titel ‚Concerto‘ hinreichend deutlich sein dürfte. Es enthält einige Anspielungen auf den Jazz, aber nicht viele.“

Ravel hatte das Konzert für eigene Auftritte geschrieben, doch sein Gesundheitszustand erlaubte es ihm nicht mehr, es selbst uraufzuführen. Die befreundete Pianistin Marguerite Long präsentierte das Werk schließlich 1932. In seiner originellen Gestalt stellt das Klavierkonzert in G-Dur einen der Höhepunkte und zugleich einen Schlusspunkt im Schaffensprozess von Maurice Ravel dar. „Ich habe noch so viel Musik im Kopf, ich habe noch nichts gesagt, ich habe noch alles zu sagen“, klagte er, doch an weitere Arbeiten war nach 1932 nicht mehr zu denken.

Ravels Vorliebe für Masken und das hintergründige Spiel mit „Verkleidungen“ zeichnen auch dieses Werk aus. In den Ecksätzen verbindet er Jazz und Zirkusmusik, archaisch wirkende Tonfloskeln und mitreißende perkussive und klangschwelgerische Passagen miteinander. Mit einem Peitschenschlag wird das Werk eröffnet, sogleich stellen Klavier und Piccolo ein baskisches Volkslied als Haupt-thema vor. Weitere Themen führen den musikalischen Charakter immer mehr in die Sphäre des Jazz. Elegisch, in einer entrückten Zeitlosigkeit, erklingt eine melodische Linie, „die an Mozart erinnert, den Mozart des Klarinettenquintetts …, das schönste Stück, das er geschrieben hat“, erklärt Ravel, und fügt noch hinzu: „Diese fließende Melodie! Wie habe ich um sie Takt für Takt gerungen! Fast hätte es mich umgebracht.“ Das Finale nimmt das Temperament des Eröffnungssatzes wieder auf. Bemerkenswert ist, dass Ravel die klassische Rondoform nicht verlässt. Die Zuhörenden werden klangfarbenreich und effektvoll in eine turbulente Zirkus- oder Jahrmarktstimmung versetzt, und so schließt sich der Kreis hin zum Peitschenknall, mit dem das Klavierkonzert eröffnet wurde.

Leonard Bernstein
Sinfonische Tänze aus „West Side Story“, 1960

Leonard Bernstein (1918–1990) war eine der prägenden Persönlichkeiten der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts und ein Mittler zwischen Welten. In einem seiner Fernsehkonzerte „für junge Hörer“, formulierte er Leitgedanken, die sein künstlerisches Schaffen maßgeblich mitbestimmten. Die amerikanischen Komponisten seien von der reichsten, der vielfältigsten Volksmusik der Welt genährt
worden, erklärte er. In ihrer Musik seien die Akzente aller Sprachen vorhanden, Mexikanisch, Schwedisch, Slawisch, Irisch. „Und wenn ihr alle diese ‚Akzente‘ (in der Musik) hört, dann fühlt ihr deutlich, was es heißt, Amerikaner zu sein – ein Abkömmling aller Völker der Welt.“

Leonard Bernstein studierte an der New Yorker Harvard Universität Klavier und Kompositionen. 1943 wurde er Assistenzdirigent. Nachdem er kurzfristig für den erkrankten Bruno Walter eingesprungen war, wurde er landesweit bekannt. Danach stand er mehr als zehn Jahre lang als Chefdirigent am Pult des New York Philharmonic Orchestra.

Wie kein zweiter prägte Leonard Bernstein den Stil der Musikvermittlung, denn er war nicht nur ein herausragender Musiker und Dirigent, sondern auch ein überragender Kommunikator. Geschickt nutzte er in den 1960-er Jahren das neue Medium Fernsehen, um mit seinem Humor und seiner Eloquenz die TV-Zuschauer:innen zu begeistern.

Als Komponist verband Leonard Bernstein die klassische Musik aus Europa mit Jazz, Pop und lateinamerikanischer Musik. Er entwickelte so das Musical weiter und schuf das neue Genre des amerikanischen Musiktheaters. Das berühmteste Beispiel dafür ist die 1957 entstandene „West Side Story“. Die Geschichte beruht auf Shakespeares Schauspiel „Romeo und Julia“. Bernstein transferierte den Ort der Handlung in die New Yorker Slums, wobei die verfeindeten Familien der Capulets und Montagues von rivalisierenden Jugendbanden verkörpert werden. Seine Intention brachte der Komponist mit den Worten zum Ausdruck: „An out and out plea for racial tolerance.“ (Ein klares Plädoyer für rassische Toleranz)

Die „West Side Story“ veränderte die amerikanische Theaterlandschaft. Eine Show, die Gewalt, Jugendgangs und Rassenvorurteile thematisierte und nicht mit einem Happy End, sondern mit dem Tod der Hauptdarsteller endete, hatte es bis dahin nicht gegeben. Außerdem war „ein Musical, das Musik, Tanz und Text zu einem Ganzen verwob, eine Offenbarung für das Publikum“, wie Ele Martens 2022 in der Sendung „klassik-entdecken“ sagte.

In den ersten zwei Jahren nach der Uraufführung in New York wurde die „West Side Story“ 772-mal in ununterbrochener Folge aufgeführt. Als deutschsprachige Erstaufführung brachte Marcel Prawy das Musical 1968 nach Wien.

Zum Werk
Mit großer Wirkmacht kombinierte Bernstein musikalische Stilmerkmale aus Vergangenheit und Gegenwart. Aus der westlichen Tradition bezog er die differenzierten Stimmführungen von Vokalensembles und kreierte musikalische Übergänge, um den Handlungsverlauf voranzutreiben. Leitmotive verstärken die Dramatik, und ein Großteil der Harmonik ist auf unterschiedliche Kombinationen des Tritonus-Intervalls zurückzuführen. Dazu verwendete er Klangfarben, Wendungen und Figurationen aus der modernen Jazz- und Tanzmusik Amerikas. Der ständige Wechsel von Wort- und Musikanteilen, sowie die Kommunikation durch choreografisch geführte Tänze ergänzten die vielgestaltige Formensprache.

1960 arrangierte Bernstein einige Teile der „West Side Story“ unter dem Titel „Symphonic Dances from West Side Story“ als Orchestersuite. Sie beinhaltet das populäre Liebesduett „Somewhere“ sowie „Mambo“ und „Rumble.“ Im Vordergrund des Werkes steht allerdings nicht die Liebesgeschichte von Maria und Tony, sondern der Konflikt zwischen den Gangs der Jets und der Sharks. Bernstein stellte die „Sinfonischen Tänze“ in Analogie zur Handlung zusammen, wobei die Komposition weit mehr ist als eine Aneinanderreihung von bekannten Songs aus dem Musical. Alle neun Teile haben tänzerischen Charakter und sind farbenreich und perkussiv instrumentiert.

Die Handlung wird in den einzelnen Tanzsätzen musikalisch erzählt. Schon im Prologue kommt die wachsende Rivalität zwischen den beiden Teenager-Gangs zum Ausdruck. Wie in einem Traum sind in Somewhere die beiden Banden in Freundschaft vereint. Im Scherzo brechen die Jugendlichen aus und finden sich plötzlich in einer Welt aus Leichtigkeit und Licht wieder. In Mambo wird ein Tanzwettbewerb geschildert. Die unglücklich Verliebten Tony und Maria sehen einander zum ersten Mal und tanzen den Cha-Cha-Cha. Musik begleitet die Meeting Scene und die ersten Worte, die Tony und Maria aneinander richten. Die Cool Fuge ist eine Tanzsequenz, in der Riff die Mitglieder der Jugendbande anweist, ihre Feindseligkeiten zu zügeln. Rumble schildert den Kampf der beiden Gangs, bei dem die Anführer Riff und Bernardo getötet werden. Betroffen bilden am Ende die Gangmitglieder eine gemeinsame Prozession, in der musikalisch an die Vision aus Somewhere erinnert wird.

Maurice Ravel
La Valse (Choreographische Dichtung für Orchester)

Sein berühmtes Werk „La Valse“ beschäftigte den Komponisten über vierzehn Jahre lang. Bereits in einem Brief aus dem Jahr 1906 schreibt Ravel, dass er einen Walzer plane, der eine Art Hommage an Johann Strauß sein solle.

Bis 1914 sollte der Titel „Wien“ lauten, doch im Laufe der Zeit änderte sich nicht nur der Titel, sondern auch die kompositorische Idee entwickelte sich in Richtung einer „choreografischen Dichtung“. Ravel sprach von einer „Apotheose des Wiener Walzers“, die „mit dem Eindruck eines phantastischen, fatalen Wirbels“ verknüpft sei.

Der berühmte Ballettchef Sergei Djagilew hatte das Werk für seine Truppe „Ballets Russes“ bestellt. Deshalb hatte Ravel von Anfang an eine szenische Aufführung vor Augen, zu der er in der Partitur folgendes Bild entwarf: „Durch wirbelnde Wolken hindurch sind hier und da Walzer tanzende Paare erkennbar. Die Wolken verstreuen sich nach und nach und geben den Blick auf einen gewaltigen Saal frei, in dem sich eine Menschenmenge dreht. Allmählich wird die Bühne heller, bis im Fortissimo der volle Glanz der Kronleuchter erstrahlt. Ein Kaiserhof um das Jahr 1855.“ Nachdem die Komposition im April 1920 abgeschlossen war, brachten der Komponist und die Pianistin Marcelle Meyer dem Ballettchef die Fassung für zwei Klaviere zu Gehör, anwesend waren auch Igor Strawinsky und Francis Poulenc. Dieser erinnert sich: „Als Ravel geendet hatte, sagte ihm Djagilew: ‚Ravel, das ist ein Meisterwerk, aber das ist kein Ballett. Es ist das Gemälde eines Balletts.’ Strawinsky hingegen sagte zu meinem größten Erstaunen kein einziges Wort! Nichts! Es war für mein ganzes Leben eine Lektion in Bescheidenheit, dass Ravel ganz ruhig seine Noten nahm und hinausging, als ob nichts passiert wäre.“ Allerdings war Ravel von Djagilews Ablehnung und Strawinskys Schweigen sehr gekränkt und brach den Kontakt zu beiden über Jahre hinweg ab. „La Valse“ wurde zunächst konzertant uraufgeführt, erst 1929 realisierte Ida Rubinstein die Ballett-Premiere.

Zum Werk
„La Valse“ besteht aus einer ununterbrochenen Reihe von Walzern. Das Stück ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden alle Melodien vorgestellt, im zweiten Teil wird kein neues musikalisches Material eingeführt, sondern in einer Art freien Reprise beginnt sich über die eleganten Walzer der „fatale Wirbel“ zu legen. Einzelne Themen erleben grundsätzliche Charakterwandlungen. Neben vielen fesselnden Details in der Orchestrierung treten die Harfe sowie eine kurze Passage im Schlagwerk besonders hervor.

Die Streicherstimmen sind sehr dicht gesetzt, sie führen Glissandi über mehrere Takte, die Wechsel zwischen Tutti und verschiedenen Instrumentengruppen schaffen farbenreiche orchestrale Expansionsräume. Das Werk steuert auf einen Höhepunkt zu, der mit aufwallenden Akkordschüben und markant gesetzten Dreiklängen in den Trompeten, Violinen und Holzbläsern eingeleitet wird. Nach einem langen Orgelpunkt wird die Auflösung zur Tonika hin buchstäblich bis zur letzten Note aufgeschoben. Auf diese Weise entsteht eine imposant komponierte und orchestrierte Schlusspassage von atemberaubender Spannung. „La Valse“ wird von einigen Musikwissenschaft-
lern auch als apokalyptischer Totentanz verstanden, in dem Ravel seine Erfahrungen des Ersten Weltkrieges sowie den Schmerz über den Tod seiner Mutter verarbeitet hat. Vor allem die Coda mit den grellen Blechbläser-Glissandi und den Verschiebungen des Dreier-Metrums könnte als fratzenhaft verzerrter, mit politischen und gesellschaftskritischen Intentionen erfüllter Abgesang gedeutet werden.

FR, 2. Mai 2025

Begleitprogramm
Klangbilder. Die Orgel im Fokus.
Martin Haselböck – Organist

19.30 Uhr Pfarrkirche Herz Jesu, Bregenz

Das gesamte Jahresprogramm 2024/2025 können Sie hier digital ansehen.

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Einleitung und Fuge aus der Kantate
„Ich hatte viel Bekümmernis“ für die Orgel bearbeitet von Franz Liszt,
„Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“, BWV 38, für die Orgel
bearbeitet von Franz Liszt

Franz Liszt (1811–1886)
Präludium und Fuge über B-A-C-H,
Evocation à la Chapelle Sixtinee,
Variationen über den Basso Continuo der Kantate
„Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ von J. S. Bach

Max Reger (1873–1916)
Fantasie und Fuge über den Choral
„Wachet auf, ruft uns die Stimme“, op. 52/2

 
Ein bekanntes Zitat von Max Reger, das seine Bewunderung für die Orgel zum Ausdruck bringt, lautet: „Bach ist Anfang und Ende aller Musik; auf der Orgel hat er sich am unsterblichsten gemacht.“

Die als „Hochrangiges Klangdenkmal“ bezeichnete Orgel der Herz Jesu Pfarrkirche wurde von Josef Behmann im Jahr 1931 als eine seiner letzten Instrumente fertiggestellt.

Eine Produktion des Kulturservice der Landeshauptstadt Bregenz im Rahmen der Bregenzer Meisterkonzerte in Kooperation mit dem Verein Musik in Herz Jesu.

Begleitprogramm im Rahmen der Bregenzer Meisterkonzerte, außerhalb des Abos.

Link zum Ticketverkauf des Bregenz Tourismus & Stadtmarketing GmbH

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