Antwerp Symphony Orchestra
17. November 2024

Antwerp Symphony Orchestra

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2024/2025 können Sie hier digital ansehen.

August de Boeck (1865 – 1937)
Rhapsodie Dahoméenne
(auch Dahomese-, Dahomeese- oder Dahomey Rhapsodie)

Max Bruch (1838 – 1920)
1. Violinkonzert in g-Moll Opus 26
1. Satz: Introduktion, Allegro moderato
2. Satz: Adagio
3. Satz: Finale: Allegro energico

Antonín Dvořák (1841 – 1904)
Symphonie Nr. 6 in D-Dur Opus 60
1. Satz Allegro non tanto
2. Satz: Adagio
3. Satz: Scherzo – Furiant
4. Satz: Finale: Allegro con spirito

Die Rhapsodie Dahoméenne von August de Boeck

Ein rätselhafter Titel und ein Komponist, dessen Name in Mitteleuropa kaum bekannt ist, so beginnt ein Konzert, das ansonsten nicht mit Populärem geizt. August de Boeck, im belgischen Merchtem geboren und dort auch gestorben, war ein sehr fleißiger Musiker und Komponist. Lange wirkte er als Organist an verschiedenen Kirchen, dann wurde er als Professor für Harmonielehre berufen, zuerst an das Konservatorium Antwerpen, dann nach Brüssel. Schließlich wurde er Direktor des Konservatoriums seiner Heimatstadt Merchtem, eine Position, die er bis zu seiner Pensionierung innehatte. De Boeck schuf zahlreiche Kompositionen: Orchesterwerke, geistliche Werke, sieben abendfüllende Bühnenstücke und eine lange Reihe von Stücken für Blasorchester, eine im flämisch-niederländischen Kulturkreis besonders beliebte Musikform.

Auch von der Rhapsodie Dahoméenne hat August de Boeck nach der Fassung für Symphonieorchester zusätzlich eine Version für das Blasorchester geschaffen. In welcher Besetzung auch immer, diese Rhapsodie gilt als das beliebteste Werk des flämischen Komponisten, und er war erst achtundzwanzig Jahre alt, als er sie schrieb. Die Entstehungsgeschichte erzählt de Boecks bester Freund und Mentor Paul Gilson, ebenfalls Komponist, wie folgt: „Eines schönen Tages traf ich De Boeck, der, nachdem er seinen letzten Zug verpasst hatte, in einem Varieté im Zentrum gelandet war, wo ein Orchester aus Dahomey Furore machte. Er war frappiert von dieser Musik mit ihren stampfenden Rhythmen, die von den Schlaginstrumenten noch akzentuiert wurden, und machte sich Notizen. ‚Schau einmal‘, vertraute er mir an, ‚welche schönen Themen ich in Reserve habe.‘ Ich überprüfte die Skizzen und antwortete begeistert: ‚Gib her, ich werde etwas Verblüffendes daraus machen.‘ De Boeck entriss mir aber die Notizen mit den Worten: ‚Nein, mein Lieber, das bewahre ich schon für mich selbst.‘“

Echte afrikanische Themen, das heißt Musik aus dem damaligen Dahomey, das heute den Namen Benin trägt, findet man in dieser Rhapsodie nur schwerlich, wie überhaupt die Folklore in der Musik des Neunzehnten Jahrhunderts immer dieselben Merkmale hat, ganz gleich, woher sie angeblich kommt. Das sind besondere Harmonien oder Rhythmen sowie der rasche Wechsel von lebhaften und langsamen Abschnitten. Jedenfalls bescherte die Rhapsodie Dahoméenne dem jungen Komponisten einen „blitzartigen Erfolg“, wie der Freund Paul Gilson schreibt, und er hob ihn sogleich „auf das Niveau eines Rimski-Korsakoff“.

Max Bruchs Violinkonzert:
das einzige berühmte Werk seines Schöpfers

Max Bruch konnte sich schnell einmal ärgern. Am meisten ärgerte er sich darüber, dass sein erstes Violinkonzert dermaßen populär wurde, dass man darüber alle seine anderen Kompositionen übersah. So schrieb er an seinen Verleger folgende Tirade: „Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger. Alle vierzehn Tage kommt einer und will mir das erste Concert vorspielen: ich bin schon grob geworden und habe zu Ihnen gesagt: ‚Ich kann dieses Concert nicht mehr hören – habe ich vielleicht nur dieses eine Concert geschrieben? Gehen Sie hin und spielen Sie endlich einmal die anderen Concerte, die ebenso, wenn nicht besser sind!‘“

Dabei hätte Max Bruch, geboren 1838 in Köln und gestorben 1920 nahe Berlin, durchaus zufrieden sein können. Als Komponist wurde er zu seinen Lebzeiten ähnlich hoch geachtet wie Johannes Brahms, und das heißt viel, hat doch Brahms mit seinen musikalischen Tätigkeiten mehr als nur gut leben können Max Bruch schätzte Johannes Brahms, kritisierte aber auch immer wieder dessen angeblich konstruierte und komplizierte Art zu komponieren. Ganz und gar nicht einverstanden zeigte sich Max Bruch mit der so genannten „neudeutschen Schule“, also Richard Wagner oder Franz Liszt, die er als „Zukünftler“ oder gar „Kuhzünfter“ schmähte, und völlig ablehnend stand er den „grauenhaften Producten der Herren R. Strauss, Reger und Consorten“ gegenüber. Max Bruchs schwieriger Charakter äußert sich auch in der Tatsache der häufigen Wechsel von Wohnort und Anstellung, aus letzteren schied er oft im Zwist. So führte ihn sein Weg unter anderem nach Koblenz, der thüringischen Residenzstadt Sondershausen, Berlin, Bonn, Liverpool und Breslau.

In erstaunlichem Gegensatz dazu stand sein durchwegs glückliches Familienleben. Mit seinen Eltern – der Vater war Jurist und die Mutter Sängerin und Gesangslehrerin – verlebte Max Bruch eine harmonische Kindheit, wo schon früh seine Musikalität entdeckt und gefördert wurde. Auch mit seiner Schwester Mathilde, genannt Till, hatte er eine innige Beziehung, die so weit ging, dass sie, als Max die Anstellung in Sondershausen antrat, zu ihm zog, ihm den Haushalt führte und ihn in künstlerischen Belangen unterstützte. Nach mehreren Liebesbeziehungen, die im Sande verliefen, heiratete Max Bruch schließlich die Sängerin Clara Tuczek. Er verbot ihr, weiter auf der Bühne zu stehen, jedoch trat sie immer wieder als Altistin in einer der Kantaten und Oratorien aus der Feder ihres Ehegatten auf. Aus dieser offenbar glücklichen Ehe gingen vier Kinder hervor.

Noch einmal sei eingegangen auf die vielen Kompositionen Max Bruchs, die er über das so berühmte „Erste Violinkonzert“ hinaus geschrieben hat. Heute noch kennen wir ein Stück für Cello und Orchester mit dem hebräischen Titel „Kol Nidrei“. Von den Nationalsozialisten wurde Max Bruch auf Grund dieses Werks sogar als Jude geschmäht, obwohl er in Wirklichkeit einen Hang zum Antisemitismus hatte. Auch Bruchs „Schottische Fantasie“ für Violine und Orchester steht, wenn auch selten, auf heutigen Konzertprogrammen. Seine vier Opern, drei Symphonien, seine zahlreichen Kantaten und Oratorien, seine Lieder, Klavier- und Kammermusik, all das wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts vergessen. Zu verbindlich, in den Vokalwerken wohl auch zu deutschnational, tritt uns diese Musik heute entgegen.

In seinen Kompositionen fühlte sich Max Bruch der „reinen, vollkommenen Schönheit“ verpflichtet. Das spürt man auch in seinem berühmten „Ersten Violinkonzert“. Erst sechsundzwanzig Jahre alt war Max Bruch, als er sich dieses Werk vornahm. Obwohl er selbst Pianist war, fühlte er sich zur Geige hingezogen, „weil die Geige die Melodie besser singen kann als das Klavier, und die Melodie ist die Seele der Musik“. Der Entstehungsprozess dieses berühmten Violinkonzerts war keineswegs einfach. Bruch zog verschiedene Geiger zu Rate und war auch einmal nahe dran, aufzugeben. Besonders Joseph Joachim gab allerhand wichtige Anregungen zur Komposition, wie er es übrigens auch bei den Konzerten von Brahms oder Dvořák tat. 1866 wurde das Konzert in Koblenz erstmals gegeben, Solist war Otto von Königslöw, dirigiert hat Bruch selbst. Die zweite und heute gültige Fassung, an der Joseph Joachim erneut stark beteiligt war, erklang 1868 mit ihm als Solisten. Der erste Satz beginnt mit einem Solo der Pauke, was sofort an Beethovens Violinkonzert denken lässt. Der Satz hat rhapsodischen Charakter, was in etwa bedeutet, dass die Themen immer weitergesponnen werden. Das erinnert an Johannes Brahms’ Technik der „entwickelten Variation“, die später von Arnold Schönberg so bewundert wurde. Der zweite Satz schließt direkt an den ersten an und bildet das Herzstück des Werkes. Schier unendlich spinnt die Violine ihre Melodie, nicht ohne einige Tonarten zu durchschreiten, die für neue Klangfarben sorgen. Einen ganz anderen Charakter bringt der dritte Satz mit sich. Mit seiner ungarischen Melodik trägt er unverkennbar die Handschrift Joseph Joachims, der im heutigen Burgenland gebürtig war. Hier kann der Solist, die Solistin mittels komplexer Doppelgriffe auch Virtuosität zeigen.

Während das Notenmaterial der 1866 uraufgeführten Erstfassung von Bruchs Violinkonzert verschollen ist, rankt sich ein wahrer Krimi um das Manuskript der endgültigen Version. Bruch bot es 1910 aufgrund von Geldproblemen zum Kauf an. Eine Investorengruppe um den Geiger Eugène Ysaÿe wollten es der National Library in Washington stiften, scheiterte aber mit diesem Plan. Kurz vor seinem Tod 1920 fand Bruch in den Schwestern Rose und Ottilie Sutro Käuferinnen. Das Geld kam schließlich nach seinem Tod und wurde seinen Kindern in aufgrund der Inflation wertlosen Papierscheinen ausbezahlt. Die Sutro-Schwestern verweigerten jegliche Auskunft zum Verbleib der Partitur. Inzwischen weiß man, wo sie sich befindet. Nach mehrmaligen Besitzerwechseln wird sie nun in der Pierpont Morgan Library in New York City aufbewahrt.

 

Böhmische Klänge
Die Symphonie Nr. 6 von Antonín Dvořák

Es lief ziemlich gut für den Komponisten Antonín Dvořák in den Jahren um 1880, die Zeit, in der er seine 6. Symphonie schrieb. Denn Johannes Brahms, einer der einflussreichsten Musiker seiner Zeit, machte den mächtigen Verleger Fritz Simrock auf Dvořák aufmerksam. Dieser bestellte sogleich bei dem damals nur lokal bedeutenden Komponisten eine Reihe „Slawischer Tänze“ und bald darauf eine „Slawische Rhapsodie“. Simrock kam eigens nach Prag, um mit Dvořák die Verträge zu schließen, aber er gab ihm für diese ersten Veröffentlichungen kein Honorar – er ließ den Tschechen Dvořák spüren, dass er in Deutschland noch völlig unbekannt war. Später jedoch, nach den großen Erfolgen dieser Werke, zahlte Simrock recht anständig, beispielsweise für Dvořáks Violinkonzert 1000 Mark, für seine 7. Symphonie schon 6000 Mark. Zur Illustration: ein Herrenanzug kostete zu dieser Zeit zwischen 10 und 75 Mark.

Vielleicht sollte man sich vergegenwärtigen, dass im Neunzehnten Jahrhundert gedruckte Noten die wohl wichtigste Art der Verbreitung neuer Werke war. Denn in dieser Zeit, in der es noch keine Aufnahmen gab, war die private wie auch die öffentliche Aufführung von Musik die einzige Art, sie zu Gehör zu bringen. Und noch etwas war anders als jetzt: man wollte neue Musik, die Musik der Vergangenheit interessierte nur Spezialisten.

Antonín Dvořák hatte bis dahin in sehr bescheidenen Verhältnissen gelebt. Als Sohn eines Gastwirts und Metzgers absolvierte er selbst eine Metzgerlehre. Er erhielt aber auch Musikunterricht und konnte schließlich achtzehnjährig in die Orgelschule in Prag eintreten, die er auch abschloss. Er spielte als Bratscher in verschiedenen Orchestern, unten anderen unter dem Dirigat von Franz Liszt und Richard Wagner. Und er wirkte bei der Uraufführung von Friedrich Smetanas Oper „Die verkaufte Braut“ mit, die als die tschechische Oper schlechthin gilt. 1873 konnte er erste kompositorische Erfolge feiern. In diesem Jahr heiratete er Anna Čermaková, die ihm über dreißig Jahre lang eine liebende Gattin sein würde. Zuerst allerdings verehrte er deren Schwester Josefina. Schmunzelnd erinnert man sich an eine ähnliche Geschichte bei Mozart, den Dvořák übrigens abgöttisch verehrte. Obwohl Antonín Dvořák strenggläubiger Katholik war und täglich die Frühmesse mitfeierte, siegte in der Beziehung zu seiner Braut offenbar doch die Leidenschaft über die kirchlichen Gebote, denn das erste Kind des Paares kam fünf Monate nach der Hochzeit zur Welt. Der Knabe starb noch als Kleinkind, wie auch die beiden Kinder, die nach ihm auf die Welt kamen. Sechs weitere Kinder des Ehepaares Dvořák erlebten dann aber das Erwachsenenalter. Das Einkommen, das nun mit dem Vertrag mit Fritz Simrock ins Haus kam, wie auch schon ein Stipendium aus Wien kurz zuvor, das ebenfalls Brahms veranlasste, ermöglichte der Familie ein komfortableres Leben. Man übersiedelte in eine geräumigere Wohnung, was Dvořák auch deshalb glücklich machte, da er von dieser aus einen Blick auf einen Bahnhof hatte, denn die Eisenbahn, aber auch Schiffe oder ähnliches, vermochten ihn zu begeistern.

Nun breitet sich das Interesse an der Musik Dvořáks rasant aus. In ganz Europa, vor allem in England, schätzte man den Komponisten. So absolvierte er mehrere erfolgreiche Konzertreisen als Dirigent eigener Werke. Er wurde vom Kaiser in Wien empfangen und an das Prager Konservatorium berufen. Bald erreichte sein Ruhm auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Musikmäzenin Jeanette M. Thurber machte Dvořák den Vorschlag, Direktor des von ihr gegründeten National Conservatory of New York zu werden. Nach kurzer Überlegung sagte er zu und blieb vier Jahre in den USA, wo er sich durchaus wohl fühlte. Sein berühmtestes Werk, die „Symphonie Nr. 9, Aus der Neuen Welt“ entstand dort.

Zurück in Europa, war er als „böhmischer Brahms“ einer der höchst geschätzten Komponisten seiner Zeit. Antonín Dvořáks Werke sind auch heute vielfach in den Konzertprogrammen zu finden, jedoch wird von seinen zehn Opern nur mehr „Rusalka“ gespielt.

Kehren wir zurück zur 6. Symphonie. Dem Dirigenten Hans Richter war daran gelegen, tschechische Musik zu fördern. So gab er Antonín Dvořák den Auftrag zu einer neuen Symphonie, die der Komponist in weniger als einem Monat schrieb. Die Uraufführung in Wien unter Richter war für Dezember 1880 angesetzt. Sie konnte jedoch nicht stattfinden, da sich einige Mitglieder der Wiener Philharmoniker weigerten, das Werk eines Slawen zu spielen – die andauernden Spannungen zwischen Tschechien und dem deutschsprachigen Teil des Kaiserreiches seien hiermit nur am Rande erwähnt. Unter dem Dirigenten Adolf Čech wurde die Symphonie dann in Prag am 25. März 1881 gegeben. Das Publikum reagierte derart begeistert, dass man den dritten Satz, einen „Furiant“, wiederholen musste. Der „Furiant“, ein böhmischer Volkstanz, wurde hier zum ersten Mal in eine Symphonie integriert. Typisch ist ein Wechsel zwischen Zweier- und Dreierrhythmus. Damit tritt uns das Scherzo, also der dritte Satz von Dvořáks „Sechster“, entgegen. Auch in den anderen Sätzen finden wir Anklänge an böhmische Volksmusik. So gewann der Komponist das erste Thema des Kopfsatzes aus einem Volkslied. Immer wieder bemerkt man in dieser Symphonie aber auch den Einfluss der großen Vorbilder Dvořáks, nämlich Beethoven und Brahms. An ersteren, nämlich an den langsamen Satz aus dessen „Neunter“, gemahnt zumindest abschnittsweise das „Adagio“, an Brahms der letzte Satz mit seiner großartigen Steigerung. Und nicht nur die Tonart D-Dur erinnert an die „Zweite“ des großen Freundes und Mentors Brahms. Es ist auch der heitere, pastorale Charakter, der die beiden Symphonie verbindet.

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