Orchestra and Choir of the Age of Enlightenment
30. November 2023

Orchestra and Choir of the Age of Enlightenment

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2023/2024 können Sie hier digital ansehen.

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Weihnachts-Oratorium BWV 248 – Kantate I
Weihnachts-Oratorium BWV 248 – Kantate II
Motette BWV 225 „Singet dem Herrn ein neues Lied“
Weihnachts-Oratorium BWV 248 – Kantate III

 

Als Johann Sebastian Bach im Jahr 1723, also vor genau 300 Jahren, die Stelle des Thomaskantors zu Leipzig antrat, ging er unter anderem die Verpflichtung ein, für jeden Sonntag eine Kantate zu schreiben, einzustudieren und aufzuführen, eine für uns heute kaum vorstellbare Aufgabe. Zu Weihnachten und zum Jahreswechsel von 1734 / 35 schrieb Bach sechs Kantaten. Diese sind, wie später noch ausgeführt wird, durchaus in zyklischem Zusammenhang zu sehen. Folgendes ist dabei wissenswert: dieses Jahr hatte keinen Sonntag zwischen den Weihnachtstagen und dem Neujahrstag, und damals wurde das Weihnachtsfest mit drei Feiertagen begangen, nicht nur mit zweien wie heute. Aus dem vorher Erwähnten ist verständlich, dass Bach zuweilen frühere Kompositionen wiederverwendet hat, ein Verfahren, dass die Musikwissenschaft Parodie nennt. Das Weihnachtsoratorium enthält auffallend viele parodierte Stücke, deren Vorlage vor allem aus weltlichen Huldigungskantaten für die sächsischen Herrscher bestand. Bach hat die Stücke aber überarbeitet und sie dem geistlichen Text angepasst. Mehr noch, man nimmt an, dass Bach bei den Huldigungskantaten, die ja Gelegenheitswerke waren, schon die spätere Verwendung der Komposition fürs Weihnachfest im Auge hatte. Weiters kann man feststellen, dass Bach niemals, auch nicht bei anderen Werken, geistliche Stücke zu weltlichen umgeformt hat. Immer hat er die weltlichen später für sakrale Musik verwendet, sie quasi geheiligt.

Für seine Aufführung hatte Bach ein Orchester zur Verfügung, das nicht immer seinen Wünschen entsprach, wie er es in seinem Brief an den Leipziger Rat „Entwurf einer wohlbestallten Kirchenmusik“ zum Ausdruck brachte: „Jedoch ist zu consideriren, dass Sie theils emeriti, theils auch in keinem solchen exercitio sind, wie es wohl seyn solte.“

Der Chor bestand aus Knaben- und Männerstimmen, und auch dessen Zustand beklagte Bach in der nämlichen Schrift. Frauen war es in den lutherischen Kirchen Leipzigs nicht gestattet, zu singen. Dadurch erklärt sich die Tatsache, dass die Sopranpartie im Weihnachtsoratorium wenig umfangreich und auch nicht schwierig ist, denn sie wurde von einem Knaben gesungen. Die Altpartie hingegen ist ausgedehnt und anspruchsvoll, denn diese wurde von einem Mann gesungen, einem Altus. Und daran anzuknüpfen ist eine weitere Überlegung, nämlich die, ob die singenden Figuren einer echten Rolle zuzuordnen sind, insbesondere dass der Alt die Gottesmutter Maria darstellt, wie die Arientexte nahelegen könnten. Das dürfte nicht so der Fall sein, vielmehr sollte man mit diesen Arien eine Wesenheit verbinden, die man als eine Art der idealen Gläubigen sehen könnte. Im Barock wird gerne von der „Tochter Zion“ gesprochen, beziehungsweise gesungen. Wie in vielen Kantaten sowie in den Passionen Bachs, so begegnen uns auch im Weihnachtsoratorium verschiedene musikalische Formen. Das Rückgrat der Komposition sind die Rezitative des Evangelisten (Tenor), der die Bibeltexte des Evangelisten Lukas beziehungsweise Matthäus wortgetreu, in der Übersetzung Martin Luthers, wiedergibt. Sie werden nur vom Basso continuo begleitet. Weiters gibt es die Accompagnato-Rezitative, bei denen das Orchester mitspielt. Diese begleiteten Rezitative führen meist zu den Arien hin, die den vier Solisten anheimgegeben sind. Die Arien sind freie Dichtung und dienen der Betrachtung und der Vertiefung des Geschehens. Ähnlich einzuordnen ist das einzige Duett des Werks in der Kantate 3.

Der Chor hat im Weihnachtsoratorium Bachs verschiedene Aufgaben. Sehr markant sind die Eingangs- und Schlusschöre, vor allem in den Kantaten 1 und 3. Dann gibt es die so genannten Turba-Chöre. Turba meint in etwa Volksgetümmel, jedoch ist auch der Engelschor „Ehre sei Gott“ in der Kantate 2 anzusiedeln. Und schließlich singt der Chor auch die Choräle. So schlicht sich diese präsentieren, so Vieles ist über sie zu sagen. Sie sind, wie der Dirigent Philippe Herreweghe einmal meinte, Fenster zur Ewigkeit. Gleichzeitig stellen sie die Verbindung zur zuhörenden Gemeinde her, da diese die Melodien aus dem Gottesdienst gut kennt. Immer wieder taucht die Meinung auf, dass die Gemeinde die Choräle mitgesungen hat. Das ist kaum vorstellbar, denn da die Männer eine Oktave tiefer singen, gäbe es in dem kunstvollen vierstimmigen Satz, den Bach schreibt, ein arges Durcheinander. Eine große und auch sinnstiftende Rolle fällt dem Orchester zu. Nach den Regeln der barocken Klangrede kommentiert das Orchester das Geschehen mit den Mitteln beispielsweise der Intervallsymbolik oder auch der Bedeutung der verschiedenen Instrumente. Diesen hoch spannenden Themenbereich näher zu behandeln, würde den Rahmen dieser Einführung bei weitem sprengen. Wer sich damit befassen will, dem sei Walter Blankenburgs Buch im dtv / Bärenreiter Verlag empfohlen, das allerdings nur noch in Bibliotheken oder antiquarisch zu haben ist. Ein grober Überblick sei hier dennoch gewagt.

In diesem Konzert erklingen die drei ersten Kantaten, was Sinn macht, denn sie sind innerhalb des gesamten Werks ein in sich geschlossenes Ganzes. Die Instrumente betreffend gibt es nur in der ersten und der dritten Kantate Pauken und Trompeten: Diese Instrumente durften nur im Beisein eines Herrschers gespielt werden, oder eben in Bezug auf Gott, dem Beherrscher des Universums. Die zweite Kantate führt uns in die Welt der Hirten, und in dieser dominieren die Holzbläser, aber auch, als Stimmen des Himmels, die hohen Streicher. Sehr schön erleben wir das in der „Sinfonia“ zu Beginn der Kantate 2, übrigens dem einzigen Instrumental­stück des gesamten Werks. Hier stehen die Streicher, die Engel also, den Hirten gegenüber, und schließlich verschmelzen die beiden Sphären. Kann man das Geheimnis von Weihnachten schöner ausdrücken? Zentrales Thema in der musikalischen Symbolsprache des Weihnachts­oratoriums ist überhaupt die Verbundenheit der himmlischen mit der irdischen Welt. Dieses wird auch im Gesamtaufbau der drei ersten Kantaten des Weihnachts­oratoriums deutlich, der eine klare Bewegung von einem höchsten Punkt bis zu einem tiefsten und wieder zurück zeichnet. Das geschieht mit Hilfe der Tonarten. Der jubilierende Eingangschor steht in D-Dur, wie auch weitere Stücke der ersten Kantate. Die schon erwähnte „Sinfonia“ zu Beginn des zweiten Teils zeigt sich in der Unterdominante von D-Dur, nämlich G-Gur. Und genau in der Mitte der zweiten Kantate und somit der ersten drei Kantaten insgesamt ist mit der Unterdominante von G-Dur, nämlich C-Dur, ein neuerlicher Schritt in die Tiefe des Menschseins erfolgt. Die Rede ist vom Choral „Schaut hin, dort liegt im finstern Stall“, dessen Worte sich am Beginn dieses Artikels finden und der mit schlichten Worten die ganze Spannweite des Weihnachtsgeschehens deutlich macht. Von hier aus geht es wieder aufwärts. Ganz symmetrisch ist am Ende der zweiten Kantate G-Dur erreicht, und mit Kantate 3 haben wir wieder das jubilierende D-Dur, wie schon erwähnt, mit Pauken und Trompeten: „Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen, lass dir die matten Gesänge gefallen.“

Im heutigen Programm hören wir zwischen der zweiten und der dritten Kantate Johann Sebastian Bachs Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“. Sie ist Teil einer Sammlung, die Bach wohl eher für private Anlässe im Jahr 1727 geschrieben hat. Während fast das ganze Werk Bachs nach seinem Tod in Vergessenheit geriet, wurde diese Motettensammlung kontinuierlich weiter gepflegt. So wird berichtet, dass der Thomanerchor sie Mozart bei seinem Besuch in Leipzig vorgesungen haben soll. Im Gegensatz dazu wurde das Weihnachtsoratorium zum ersten Mal nach Bachs Tod erst im Jahr 1857, also gut einhundert Jahre später, durch die Berliner Singakademie wiederbelebt. Das Weihnachtsoratorium zählt heute zu den am meisten aufgeführten Kompositionen Bachs. Ein Weihnachtsfest ohne dieses so tiefe und dabei so liebliche Werk ist für viele Menschen undenkbar.

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