Programm

Herzlich Willkommen!

„Wir sind das beste Publikum“
Das ist mehr als eine dekorative Aussage. Das Bregenzer Publikum mit internationalen Besucherinnen und Besuchern ist tatsächlich das beste Publikum. Das wird uns bei jedem Meisterkonzert aufs Neue bewusst. Es ist an der Zeit, Ihnen, liebe Gäste und Abonnent:innen, herzlich zu danken. Die Musikerinnen und Musiker der Orchester, die grandiosen Solistinnen und Solisten und Dirigenten sind begeistert von Bregenz. Wertschätzendes Vertrauen bildet die Basis für unser hochqualitatives Programm und unvergessliche Konzertereignisse.

Vierzehn herausragende Komponisten vereint an sechs Abenden: Ludwig van Beethoven, Hector Berlioz, Johann Sebastian Bach, Edvard Grieg, Franz Liszt, Alban Berg, Anton Webern, Richard Dünser, Arnold Schönberg, Mieczysław Weinberg, Sergei Wassiljewitsch Rachmaninov, Paul Dukas, Felix Mendelssohn Bartholdy und Antonín Dvořák.

Fünf Dirigent:innen mit höchster künstlerischer Gestaltungskraft: Antonello Manacorda, Masaaki Suzuki, Katharina Wincor, Vasily Petrenko und Edward Gardner.

Fünf bedeutende Orchester: Kammerakademie Potsdam, Orchestra and Choir of the Age of Enlightenment, Klangforum Wien, Royal Philharmonic Orchestra und Bergen Philharmonic Orchestra.

Acht weltweit auftretende Solistinnen und Solisten sowie Sängerinnen und Sänger: Christiane Karg, Jessica Cale, Hugh Cutting, Guy Cutting, Florian Störtz, Magdalena Anna Hofmann, Sheku Kanneh-Mason und Veronika Eberle.

Ein Klavier-Recital zwischen „Himmel und Erde“, interpretiert mit beflügelter Virtuosität von Shani Diluka.

Das bietet die Bregenzer Meisterkonzert-Saison 2023/2024. Wir wünschen Ihnen unvergesslich inspirierende Momente: Lehnen Sie sich zurück im wunderschönen und akustisch perfekten Konzertsaal des Festspielhauses Bregenz.

Michael Ritsch, MBA
Bürgermeister

Mag. Michael Rauth
Stadtrat für Kultur

DO, 18. April 2024

Royal Philharmonic Orchestra
Vasily Petrenko – Leitung
Sheku Kanneh-Mason – Cello

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2023/2024 können Sie hier digital ansehen.

Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Ouvertüre zu „Egmont“ in c-Moll, op. 84

Mieczysław Weinberg (1919 –1996)
Konzert für Violoncello und Orchester, op. 43

Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow (1873 –1943)
Sinfonie Nr. 2 in e-Moll, op. 27

 

Das Royal Philharmonic Orchestra spannt mit Kompositionen von Ludwig van Beethoven, Mieczysław Weinberg und Sergej Rachmaninow einen inhaltsreichen Bogen über drei unterschiedliche kompositorische Gattungen. Im Rahmen einer Ouvertüre, eines Cellokonzerts und einer Sinfonie werden brisante gesellschaftspolitische Inhalte nachgezeichnet, die leider nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Fremdherrschaft und Unterdrückung sowie der Wille nach Freiheit und Selbstbestimmtheit werden musikalisch in Szene gesetzt. Flucht und Emigration bestimmen den musikalischen Ausdrucksgehalt der Kompositionen von Weinberg und Rachmaninow. Überdies kommen das von Unsicherheit geprägte innere Ringen um persönliche Entfaltung und dessen individuelle Bewältigung in Rachmaninows Sinfonie mutmachend zur Geltung.

Ludwig van Beethoven
Egmont, Schauspielmusik, op. 84, Ouvertüre

Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) war ein glühender Verehrer von Johann Wolfgang von Goethe. Eigentlich wollte er, als er den Auftrag des Wiener Burgtheaters für die Schauspielmusik zum Trauerspiel „Egmont“ erhielt, Schiller vertonen. Doch der gesellschaftspolitische Inhalt des Bühnenwerkes, in dem der Konflikt zwischen dem Grafen Egmont aus Flandern und dem spanischen Herzog Alba abgehandelt wird, sprach den jungen Komponisten an.

Politische Inhalte, Konflikte zwischen ungleichen Mächten, Fremdbestimmung und der unbedingte Wille nach Freiheit und Selbstbestimmung regten Beethoven persönlich auf und seine Fantasie an. Er leistete durch seine Musik in mehreren seiner Werke aktiven Widerstand, nicht nur „Egmont“, sondern auch die Oper „Fidelio“, die Schauspielmusik zum Drama „Coriolan“ oder das Ballett „Geschöpfe des Prometheus“ stehen im Zeichen dieser Überzeugungen.

Während die gesamte Schauspielmusik zu Goethes „Egmont“ wenig im Konzertsaal zu hören ist, ist die Ouvertüre fix im Repertoire vieler Orchester verankert. Anlässlich einer Aufführung des 1809 entstandenen Werkes schwärmte der Dichter und Musiker E.T. A. Hoffmann: „Jeder Ton, den der Dichter anschlug, klang in seinem [Beethovens] Gemüte wie auf gleichgestimmter, mitvibrierender Saite wider.“ Beethovens Musik ist weit mehr als eine Illustration des Trauerspiels. Vielmehr ist es eine Interpretation der geschilderten Ereignisse. In der Ouvertüre werden die Wesenszüge des Helden Egmont charakterisiert. Sein aussichtloser Kampf gegen die Übermacht klingt in der langsamen Einleitung an. Der musikalische Duktus erinnert an eine Sarabande, ein ursprünglich aus Spanien stammenden Tanz. Schwere Streicherakkorde stellen die Bürde dar, die die niederländische Bevölkerung zu tragen hat. Eine hektische Betriebsamkeit mit zugleich bestimmender Aussage deutet einesteils die Handlungen des Helden und andernteils seine Liebe zum Bürgermädchen Klärchen aus. Immer wieder brechen die einleitend erklungenen schweren Akkorde ein und erinnern an die unterschwellige Bedrohung. Seinen Freiheitskampf bezahlt Egmont mit seinem Leben, er wird hingerichtet. „Der Tod Egmonts könnte durch eine Pause angedeutet werden“, schrieb Beethoven in den Skizzen zum Werk. Danach hebt eine Siegessinfonie für den Freiheitshelden an.

Mieczysław Weinberg
Konzert für Violoncello und Orchester c-Moll

Der Name Mieczysław Weinberg (1919 – 1996) ist hierzulande vielen Kulturinteressierten seit dem Jahr 2010 ein Begriff. Damals inszenierte David Pountney Weinbergs Oper „Die Passagierin“ und verhalf damit dem aus Warschau stammenden Komponisten zu internationaler Anerkennung. Weinbergs Jugendjahre waren geprägt von Fluchterlebnissen, denn 1939 musste er aus Warschau fliehen. Er ließ sich in Minsk nieder und konnte sich von dort 1941 in letzter Minute nach Usbekistan retten. Seine Familie wurde ermordet, doch Weinberg fand durch die Hilfe von Dmitri Schostakowitsch in Moskau eine neue Heimat. Aber auch dort war er wie sein Mentor Repressalien der Machthaber ausgesetzt. Vorübergehend wurde der Komponist sogar inhaftiert, diese Erfahrungen hinterließen bleibende Spuren.

Die Musik von Mieczysław Weinberg ist geprägt von Schostakowitschs musikalischer Sprache. Doch Weinbergs Sozialisation in der jüdischen Tradition und in der Unterhaltungsmusik sowie seine polnischen Wurzeln bestimmen seinen Kompositionsstil ebenso wesentlich. Sein heterogener musikalischer Ausdruck ist überdies geprägt von Zitaten sowie einer changierenden Harmonik, die sehr weit gefasst und teilweise von einem tonalen Zentrum losgelöst ist. Weinberg hat zahlreiche Werke hinterlassen, unter anderem 8 Opern, 22 Sinfonien und 14 Streichquartette. Überdies komponierte er viel Film- und Zirkusmusik, um finanziell über die Runden zu kommen.

Das Cellokonzert op. 43 entstand Ende der 1940er Jahre. Doch erst 1957 kam es mit dem Solisten Mstislaw Rostropowitsch in Moskau zur Uraufführung. Zuvor hatte Weinberg ein Concertino für Cello und Kammerorchester komponiert, das quasi den Ausgangspunkt für das nachfolgende Cellokonzert darstellt. Aus der Schublade holte der Komponist sein Werk erst, als er im Rahmen eines musikalischen Abends im privaten Kreis, bei dem auch Mstislaw Rostropowitsch dabei war, darum gebeten wurde. Sogleich wurden Pläne für die Uraufführung geschmiedet. Seither ist das Cellokonzert eines der meistaufgeführten Werke des Komponisten.

Ein jüdisches Idiom zeichnet fast alle Kompositionen von Weinberg aus. Auch das Cellokonzert wird von einer melancholischen, aber nicht hoffnungslosen Stimmung getragen. Vor allem in die Blasinstrumente sind Anklänge an Klezmermusik gelegt, die dem Werk eine besondere Farbe verleihen. Eine spannungsgeladene Lyrik entfaltet sich im Eröffnungssatz. Wehmütig wirkt die Einleitung im Moderato, wenn sich eine Habanera entfaltet und viel Emotion verströmt. Zentral ist der dritte Satz, in dem populäre, volksmusikalische Themen erklingen und aufeinanderprallen. Ein kraftvolles Rondo zeichnet das Finale aus, bis sich schließlich der Kreis mit einem sinnlichen Adagio schließt.

Sergej Rachmaninow,
Sinfonie Nr. 2 e-Moll, op. 27

Sergej Rachmaninow (1873 –1 943) hat ein reiches Oeuvre mit virtuosen Klavier- und Orchesterwerken hinterlassen. Gemeinhin wird seine Musik als „spätromantisch“ qualifiziert und in einen Gegensatz zum Kompositionsstil von Alexander Skrjabin oder Igor Strawinsky gestellt. Besonders hervorgehoben wird die „russische Seele“, die seinen symphonischen Werken innewohnt. Schon in seinen Jugendjahren lernte Rachmaninow Peter I. Tschaikowsky kennen, der ihm ein großes Vorbild war.

Sein ganzes Leben lang war der als Pianist und Dirigent hoch geschätzte, aber als Komponist wenig bekannte Künstler auf der Suche nach einem Vaterersatz, denn sein eigener Vater war ein Spieler und tauchte unter. So verlor die im zaristischen Russland ursprünglich wohlhabende Familie ihren Landsitz. Das Talent des Kindes wurde zwar erkannt, allerdings war eine Offizierslaufbahn vorgesehen. Doch die vorbestimmten Pläne schlugen fehl und schließlich trat Sergej Rachmaninow ins Moskauer Konservatorium ein und beendete dieses mit großem Erfolg.

Sergej Rachmaninow erlebte zahlreiche Höhen und Tiefen. Von Natur aus und seit seiner Jugend neigte er zu Depressionen, jede Kritik oder ablehnende Haltung stürzte ihn in tiefe künstlerische Schaffenskrisen. Hilfe fand er beim legendären Psychiater Nikolai Dahl und dessen Hypnosetherapie. Nach mehreren Stationen in Europa ließ sich Sergej Rachmaninow 1935 in Beverly Hills in Kalifornien nieder. Dort konnte er als anerkannter Künstler und gefeierter Pianist ein gutes Leben führen.

Die zweite Sinfonie von Sergej Rachmaninow ist ein Paradebeispiel für typisch „russisches“ Idiom, denn sie strahlt Weite aus. Lange fließende, auf- und abschwellende musikalische Klangfelder und Melodien werden von einer mitschwingenden Melancholie durchzogen. Anklänge an Volkslieder verleihen der Musik eine große emotionale Kraft. Die Klangfarbenpracht bringt die große Instrumentationskunst des Komponisten zur Geltung. Doch sie ist nie Selbstzweck, sondern beruht auf einer bis ins Detail ausgeklügelten kompositorischen Sprache, die mit vielen Querverweisen und motivischen Klammern eine große innere Stabilität und Stringenz aufweist.

Von Rachmaninows zweiter Sinfonie ist fast nie die Rede, ohne seine erste zu erwähnen. Im März 1879 wurde diese mit dem betrunkenen Alexander Glazunow am Pult uraufgeführt. Das Werk fiel durch und wurde heftigst kritisiert. Den Misserfolg nahm der sensible, selbstzweifelnde Sergej Rachmaninow sehr ernst, er war am Boden zerstört. Es dauerte zwölf Jahre, bis Rachmaninow sich wieder an die Komposition einer Sinfonie wagte.

Die politischen Wirren der russischen Revolution zwangen den Komponisten mitsamt seiner Familie ins Exil. In den Jahren 1906 / 07 wohnte die Familie in einer „Gartenvilla“ in Dresden. Die Ruhe und Abgeschiedenheit wirkte als guter Nährboden für ein groß angelegtes symphonisches Werk. Eigentlich sollte die Sinfonie fern ab der Öffentlichkeit entstehen, doch ein Freund verriet die Arbeitspläne und so erhielt der Komponist noch vor der Fertigstellung einige Angebote, das Werk zur Uraufführung zu bringen. Doch Rachmaninow zögerte und war sich unsicher. Die Uraufführung 1908 in St. Petersburg wurde stürmisch gefeiert und war ein riesiger Erfolg.

Die zweite Sinfonie beginnt mit einer langsamen Einleitung. Sie enthält die musikalischen Wesenskerne der gesamten Sinfonie. In den tiefen Streichern wird das Hauptthema präsentiert, die antwortenden Bläser und die anschließende Tongirlande in den Violinen bilden weitere Ausgangsmaterialien für ein dichtes Klanggewebe, das mit zahlreichen Fugati eine große Klangwirkung entfaltet.

Alle vier Sätze der Sinfonie sind motivisch miteinander verbunden. Stürmisch und rhythmisch markant drängt das Allegro molto im zweiten Satz ständig nach vorne. Das Hauptthema wird aus Motiven des „Dies Irae“, dem Choral aus der Totenmesse, gebildet. Glockenspiel und perkussive Streicherpassagen verleihen der Musik einen aufgekratzten Duktus. Besonders im berühmten episch-romantischen dritten Satz, mit der Kantilene in der Klarinette steuert die Musik auf einen emotionalen Gipfelpunkt zu. In weit ausladenden Bögen verwandelt sich die Nervosität in Hoffnung und Zuversicht. Kontrastreich endet die monumentale Sinfonie mit einem schnellen Marsch, zudem erklingen Themen der vorangegangenen Sätze an. Dabei gewinnt die Musik immer mehr an Strahlkraft, so dass das Licht am Ende des Tunnels eindrücklich leuchtet.

SA, 27. April 2024

Bergen Philharmonic Orchestra
Edward Gardner – Leitung
Veronika Eberle – Violine

18.45 Uhr Konzerteinführung im Saal Bodensee
19.30 Uhr Großer Saal

Das gesamte Jahresprogramm 2023/2024 können Sie hier digital ansehen.

Paul Dukas (1865 –1935)
Der Zauberlehrling – Scherzo nach einer Ballade von Goethe für Orchester

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 –1847)
Violinkonzert e-moll, op. 64

Antonín Dvořák (1841–1904)
Symphonie Nr. 9

Paul Dukas
„L’apprenti sorcier“ – Der Zauberlehrling.
Scherzo für Orchester

Der 1865 in Paris geborene Komponist Paul Dukas war äußerst selbstkritisch und ließ nur wenige seiner Partituren gelten. So hat sich in unserem Konzertwesen eigentlich nur die geniale Vertonung von Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“ erhalten. Durch sie reiht er sich jedoch unter die bedeutendsten französischen Meister der vorletzten Jahrhundertwende wie Camille Saint-Saens, Claude Debussy, Maurice Ravel oder Gabriel Fauré ein. Auch andere Werke von Dukas wie die Oper „Ariane et Barbe-Bleue“ nach Maurice Maeterlinck oder die Tanzdichtung „La Peri“ zeigen größte Originalität und meisterhafte Instrumentationskunst. Musikalischbeeinflusst von César Franck, Franz Liszt und Richard Wagner schuf Dukas in Verbindung mit seinem vielleicht typisch französischen melodischen Esprit eine charakteristische Tonsprache.

Bis 1889 hatte Dukas, übrigens gemeinsam mit Debussy, das Pariser Conservatoire besucht, drei Ouvertüren weisen auf eine besondere Neigung zur Literatur hin. Später war er Musikkritiker für verschiedene französische Zeitungen, Lehrer an der Ecole Normale de Musique und übernahm 1928 eine Kompositionsklasse am Conservatoire.

In Goethes bekannter Ballade „Der Zauberlehrling“, die in sich bereits so musikalisch aufgebaut ist und die in Sprache und Aufbau ein Crescendo nachzubilden scheint, hatte Dukas einen inspirierenden Text gefunden. Mit ihm konnte er strenge Form und rhapsodische Freiheit verbinden. Die Akkorde der langsamen Einleitung zeichnen die Atmosphäre in der Werkstatt des Zauberers nach und skizzieren bereits die Gestalt des Zauberlehrlings, dessen Gedanken als musikalische Motivzitate aufscheinen. Hörner und Trompeten intonieren die Beschwörungsformel „Walle! Walle! manche Strecke! Dass zum Zwecke Wasser fließe und mit reichem vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße“– ein starkes Crescendo des Orchesters zeigt die Wirkung des Zauberspruchs an. Der Besen bringt das Wasser: Das Fagott stimmt seine hüpfende, fast groteske Melodie an, die im Verlauf des Stücks immer mehr Variationen, Abspaltungen oder Übereinanderlagerungen der Orchesterstimmen erfährt.

Zunächst beobachtet der Zauberlehrling noch stolz das emsige Laufen des Besens, doch bald gerät das Ganze außer Kontrolle: Besen, Eimer und Wasserfluten machen sich selbstständig, das scherzend-komische Element verwandelt sich in ängstliche Erregung und Tumult. Der Zauberlehrling hat das erlösende Wort vergessen und ist den Geistern ausgeliefert. In seiner Not zerschlägt er den Besen, ein lauter Schlag bereitet dem Treiben scheinbar ein Ende. Doch bald erklingen Bruchstücke des Hauptthemas, reihen sich aneinander, bis das Thema wieder vollständig ist. Nun werden die Turbulenzen immer größer, weil ja zwei Besen das Wasser herbeischleppen: Klarinetten, Violinen, Flöten, Hörner, Trompeten steigern das gespenstische Scherzo, bis das Thema sogar in den Posaunen erklingt. Hilflosigkeit und Angst spiegeln sich ungeheuer phantasievoll in der Musik.

Dann aber erscheint der Meister und setzt dem Spuk ein Ende: gehaltene Akkorde zeigen seine Macht über die Geisterwelt, zögernd werden nochmals Motive des Hauptthemas zitiert, verlieren sich aber im Pianissimo, bevor vier Orchesterschläge den Schlusspunkt setzen. Paul Dukas’ symphonisches Scherzo ist zu einem der beliebtesten Virtuosenstücke der Orchesterliteratur geworden und sogar mit Walt Disneys „Fantasia“ in die Filmgeschichte eingegangen. Das scherzende Pochen des Fagotts und die geniale Verschränkung aller Instrumente klingen als musikalische „Geister“ nach.

Felix Mendelssohn Bartholdy
Violinkonzert e-Moll, op. 64

„Mendelssohn ist der erste Musiker der Gegenwart, der Mozart des neunzehnten Jahrhunderts, schrieb Robert Schumann bewundernd über den ein Jahr älteren Komponisten, den er in Leipzig kennen gelernt hatte. Und wirklich muss Felix Mendelssohn Bartholdy, der aus einer angesehenen Berliner Bankiersfamilie stammte (sein Großvater war der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn), ein „Liebling der Götter“ gewesen sein: hochbegabt, bestens ausgebildet in der Musik ebenso wie in der Literatur und der Malerei, gab er im Alter von neun Jahren sein erstes Konzert und spielte im Alter von 12 Jahren vor Goethe. Gemeinsam mit seiner älteren Schwester Fanny und den jüngeren Geschwistern Rebecka und Paul erfuhr er eine einzigartige Förderung in künstlerischer wie allgemein kultureller Hinsicht: Vom Großvater, dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, stammte das Motto „Emanzipation durch Bildung“. Vater Abraham, der Berliner Bankier, und Mutter Lea, die ebenfalls hochmusikalisch und am Cembalo mit den Werken Johann Sebastian Bachs vertraut war, führten ein kulturell lebendiges Haus. Anregende Gespräche, Lektüre, kleine Theateraufführungen, später „Sonntagsmusiken“ im Gartensaal des Berliner Hauses, die besten Lehrer, Reisen, Begegnungen und Gespräche etwa mit dem alten Goethe formten den wachen Geist von Felix und seinen Geschwistern. Dem 15-jährigen Felix gab der Lehrer Carl Friedrich Zelter auf den Weg: „Von heute an bist du kein Junge mehr, von heute an bist du Gesell: Ich mache dich zum Gesellen Mozarts, im Namen Haydns und im Namen des alten Bach“– sicher war das ein Ritterschlag der besonderen Art! Die Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ und das Oktett für Streicher machten Felix 1827, mit 18 Jahren, auch als Komponist bekannt. Ausgedehnte Reisen nach Italien, England, Frankreich und die Schweiz dienten seiner weiteren Ausbildung, viele Eindrücke sind auch in seine Kompositionen eingeflossen. In Deutschland und England wurde er mit der „Hebriden-Ouvertüre“, der „Italienischen“ und der „Schottischen“ Symphonie zu einem der am meisten geschätzten Komponisten seiner Zeit. 1833 wurde er Musikdirektor in Düsseldorf, zwei Jahre später wurde er als Leiter der Gewandhauskonzerte nach Leipzig berufen. 1843 wurde hier auf sein Betreiben hin das Konservatorium gegründet. Seine Tätigkeit als Dirigent, Komponist und Lehrer führte ihn oft an die Grenzen seiner Kraft. Felix Mendelssohn, der als Kind gemeinsam mit seinen drei Geschwistern getauft worden war (seither kam der zweite Familienname Bartholdy dazu), hatte auch eine enge Beziehung zur geistlichen Musik: Mit 20 Jahren setzte er sich für die Wiederaufführung der „Matthäuspassion“ von J. S. Bach ein, selbst vertonte er zahlreiche Psalmtexte und komponierte zwei häufig aufgeführte Oratorien „Paulus“ (1836) und „Elias“ (1846). Wenige Monate nach dem Tod seiner geliebten, ebenfalls hochmusikalischen Schwester Fanny starb Felix Mendelssohn im Alter von nur 38 Jahren.

Seit seiner Uraufführung im Jahr 1845 zählt das Violinkonzert in e-Moll op. 64 zum Repertoire eines jeden Violinvirtuosen, darüber hinaus vereint es in bester Weise die klassische dreisätzige Konzertform mit der Ausdruckskraft der Romantik.  Den Plan für die Komposition eines Violinkonzerts scheint der Komponist bereits im Jahre 1838 gefasst zu haben, als er dem mit ihm befreundeten Geiger Ferdinand David schrieb: „Ich möchte Dir wohl auch ein Violinkonzert machen für den nächsten Winter; eins in e-Moll steckt mir im Kopfe, dessen Anfang mir keine Ruhe lässt.“ Fertiggestellt wurde es allerdings erst sechs Jahre später, die Uraufführung durch Ferdinand David und den Komponisten am Pult des Leipziger Gewandhausorchesters fand am 13. März 1845 statt. Dieser Anfang zieht auch den Hörer und die Hörerin gleich mit den ersten Takten mitten hinein ins Geschehen. Mendelssohn verzichtet auf die klassische Orchestereinleitung, was mit zu der unmittelbaren Wirkung des Stücks beiträgt. Weit ausgreifend durchmisst der Solist den Tonraum, füllt ihn mit virtuoser Geste aus und lässt sich, nach der Wiederholung des Hauptthemas durch das Orchester und nach einem filigraneren Zwischenteil, in einen ruhigeren Seitengedanken sinken. Zarte Dialoge zwischen den Bläsern und der Solovioline prägen dieses Seitenthema, bevor die Schlussgruppe die pulsierende Erregung des Beginns aufgreift. Klassische Vorbilder klingen in der Durchführung, der auskomponierten obligaten Solokadenz und der Reprise durch. Gleich einem „Lied ohne Worte“, jener Gattung der romantischen Klavierminiatur, die Felix und seine Schwester Fanny so gerne gepflegt haben, erhebt sich das zauberische Andante direkt aus dem pointiert fulminanten Schluss des ersten Satzes.

Nach der Orchesterüberleitung legt sich eine schier unendliche Melodie von großer Zartheit über das sparsam begleitende Orchester. Der Mittelteil bringt mit Eintrübungen und Verdichtungen dramatischere Farben und schmerzvolle Empfindung. Zarte Melancholie atmen wenige Takte eines Zwischensatzes, bevor sich Solovioline und das duftig gesetzte Orchester in einen kontrastreich wirbelnden Tanz stürzen. Sprühend von Ideen klingt auch hier immer wieder der leichtfüßige Geist des „Sommernachtstraums“ mit seinen Elfentänzen durch, der vielleicht ein „Markenzeichen“ von Mendelssohns Musik geworden ist.

Antonin Dvořák
Symphonie Nr. 9 e-Moll, op. 95
„Aus der Neuen Welt“

Antonin Dvořák kam 1841 als Sohn eines Metzgers und Gastwirts zur Welt, musste zunächst auch den väterlichen Beruf erlernen, kam aber 1857 zum Musikstudium nach Prag, wo er zunächst als Hauptinstrument Orgel studierte. Später war er als Bratscher Mitglied des Theaterorchesters. Sein Weg zum Berufsmusiker vollzog sich relativ langsam, doch gründlich und verantwortungsbewusst. Wie sein Förderer Brahms, durch dessen Fürsprache er ein österreichisches Staatsstipendium erhielt, war Dvořák sehr selbstkritisch, vernichtete zahlreiche Frühwerke oder revidierte sie in späteren Jahren. Einflüsse von Wagner und Brahms prägten ihn, und doch gelang es dem böhmischen Komponisten, seine ureigene Tonsprache zu finden. Nicht nur die „Slawischen Tänze“ und Rhapsodien sind durchzogen von folkloristischen Elementen, auch die Symphonien und Streichquartette sind in ihrer melodischen Eingebungskraft getragen vom musikantischen Feuer, das der Komponist mit ausgeprägtem Klangsinn und Instrumentationskunst verarbeitet.

Nach großen Erfolgen in Europa mit den Slawischen Tänzen und vor allem im oratorienbegeisterten England (mit dem Stabat mater) wurde der Komponist für einige Zeit Direktor des Prager Konservatoriums und ging dann in entsprechender Funktion in den Jahren 1892 – 95 nach New York. Weltruhm verschafften ihm die berühmte 9. Symphonie Aus der Neuen Welt op. 95 und das Amerikanische Streichquartett op. 96, die bis heute die am meisten im Konzertsaal gespielten Werke geblieben sind. Zuvor hatte er mit der für die englische Philharmonic Society in London komponierten 7. Symphonie, der dramatischen Kantate „Die Geisterbraut“, einem der größten Erfolge seines Lebens, und dem Oratorium Die heilige Ludmila die Verbindungen nach England noch intensiviert. Auch das 1890 komponierte, ein Jahr später in Birmingham uraufgeführte Requiem profitiert von der Oratorientradition, die zuerst Händel, dann Haydn und im 19. Jahrhundert Felix Mendelssohn-Bartholdy und Louis Spohr mit ihren Werken bereichert hatten.

Der Titel der neunten Symphonie „Aus der neuen Welt“ stammt vom Komponisten selbst, Dvořák fügte ihn spontan erst zum Schluss auf der Partitur ein. Allerdings ranken sich viele Theorien und Mutmaßungen um das typisch „Amerikanische“ in dieser Symphonie. Im Jahre 1892 war der damals 50-jährige Komponist zum Direktor des National Conservatory of Music in New York berufen worden, einer Schule, die zu damaliger Zeit durchaus ungewöhnliche Wege beschritt. Das idealistische Ziel der Gründerin Jeanette Thurber war es, einen national amerikanischen Stil zu schaffen, denn eine amerikanische (klassische) Kunstmusik hatte es bis dahin nicht gegeben. Sie wollte begabte Musiker finanziell unterstützen und amerikanische Musik mit europäischer Musik durchmischen. Die Ausbildung an diesem Konservatorium hatte bisher den Schwerpunkt Gesang mit Stimmbildung, Solfeggio, Sprecherziehung, dazu italienische Sprache, Körperarbeit und Vorlesungen zur Musikgeschichte enthalten und sollte auf Instrumentalfächer, Harmonielehre und Komposition erweitert werden. 1891 erhielt das Konservatorium die staatliche Anerkennung, der Direktor sollte ein renommierter Komponist aus Europa werden. Und Dvořák war durch seine Kompositionen und durch Aufführungen seiner Werke in Amerika durchaus bekannt.

So beschrieb Dvořák seine Aufgaben in einem Brief: „Die Amerikaner erwarten große Dinge von mir, vor allem soll ich ihnen den Weg ins gelobte Land und in das Reich der neuen, selbstständigen Kunst weisen, kurz, eine nationale Musik schaffen.“ Zur Direktorenposition kam die Möglichkeit, Konzerte mit eigenen Werken zu dirigieren. Schon bald erklärte er in einem Interview mit dem New York Herald: „Ich bin jetzt überzeugt, dass die zukünftige Musik dieses Landes auf der Grundlage der Lieder aufgebaut werden muss, die Melodien der Farbigen genannt werden. Diese müssen die Grundlage einer ernsten und ursprünglichen Kompositionsschule werden, die in den USA aufzubauen ist. Diese schönen und vielfältigen Lieder sind das Produkt des Landes. Sie sind amerikanisch. In den Liedern finde ich alles, was für eine bedeutende und vornehme Schule der Musik nötig ist. Sie sind pathetisch, zart, leidenschaftlich, melancholisch, feierlich, religiös, verwegen, lustig, fröhlich…“

Was ist nun dieses Amerikanische, das bei Dvořák aber immer mit seiner ureigenen slawischen Musiksprache einhergeht beziehungsweise in beiden Kulturen vorhanden ist? Die pentatonische Melodiebildung (gemeint ist die Arbeit mit Ganztönen) gibt den Hauptthemen des ersten Satzes ihr besonderes Kolorit. Gerade die Pentatonik aber ist ein Charakteristikum aller slawischer oder östlicher Musik. Auch die Rhythmen, etwa das prägnante „lang – kurz – kurz – lang“ des Kopfsatzes finden sich sowohl in der böhmischen Volksmusik wie in den Spirituals. Während der Arbeit an der Symphonie – sie ist das erste Werk, das Dvořák während seiner New Yorker Zeit schrieb – sang ihm ein schwarzer Student am Konservatorium Spirituals vor, andere Einflüsse kamen durch Lieder von Stephen Foster und durch die Lektüre von Henry W. Longfellows Indianer-Epos „Song of Hiawatha“ (Dvořák wollte diesen Stoff ursprünglich für eine Oper verwenden). Doch führten solche Anregungen niemals zu rein deskriptiver Programmmusik, sondern schufen eine eigentümliche, unmittelbar ansprechende Synthese. Der Komponist betonte schon vor der Uraufführung: „Es ist der Geist dieser Melodien, den ich in meiner Symphonie zu reproduzieren bestrebt war. Ich habe keine einzige jener Melodien benützt. Ich habe einfach charakteristische Themen geschrieben, indem ich ihnen Eigenheiten der indianischen Musik eingeprägt habe, und indem ich diese Themen als Gegenstand verwendete, entwickelte ich sie mit Hilfe aller Errungenschaften des modernen Rhythmus, der Harmonisierung, des Kontrapunkts und der orchestralen Farben.“ 

Das Erlebnis Amerika bringt dem Komponisten sicher unüberhörbar neue Reize und Farben: Oft setzt er die kleine Septime an Stelle der großen Leitton-Septime ein, ein Hauch des fremdartig Melancholischen liegt über vielen Melodien. Besonders natürlich über dem zentralen Thema, der wunderbaren Klage des Englischhorns im zweiten Satz, die von sieben harmonisch kühnen Akkorden (der „Widerhall überwältigender Eindrücke aus der „Neuen Welt“) eingeleitet wird. Kurt Honolka bringt es vielleicht am einprägsamsten auf den Punkt, wenn er sagt: „So wie Schiller, der nie in der Schweiz war, im „Wilhelm Tell“ schweizerische Naturbilder malte, so bannte Dvořáks ahnende Phantasie die Weite und Erhabenheit amerikanischer Landschaft in Töne, noch ehe er, außer einer Dirigentenreise nach Boston, überhaupt das Land kennengelernt hatte.“

Für das New Yorker Publikum war die Uraufführung der Symphonie am 15. und 16. Dezember 1893 in der neu erbauten Carnegie Hall ein überwältigendes Erlebnis. An seinen Verleger Simrock konnte Dvořák schreiben: „… Die Zeitungen sagen, noch nie hatte ein Komponist einen solchen Triumph. Ich war in der Loge, die Halle war mit dem besten Publikum von New York besetzt, die Leute applaudierten so viel, dass ich aus der Loge wie ein König (!?) … mich bedanken musste.“ An der Beliebtheit der Symphonie „Aus der Neuen Welt“ hat sich bis heute nichts geändert: die besonderen Klangfarben, die volkstümlichen Melodien und Bordunklänge, die temperamentvollen Rhythmen des Scherzos oder die mitreißenden Fanfaren des Finales sind immer wieder von besonderem Reiz.

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